raffinierter Psychothriller

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bücherkarin Avatar

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Das Cover kann ich nicht richtig deuten, für mich verbreitet es Unruhe und macht ängstlich - und entspricht damit genau dem Inhalt. Beim Inneneinband finde ich die Idee des geöffneten Briefumschlages originell, obwohl ich hier keine Verbindung zum Inhalt sehe.

Zum Inhalt

Linda Conrads, 38 Jahre und Bestsellerautorin ist ihren Fans und der Presse ein Rätsel. Seit 11 Jahren lebt sie völlig zurückgezogen in einer Villa am Starnberger See. Linda, als Ich-Erzählerin, gewährt dem Leser Einblick in ihr Eremiten-Dasein, nur ihre Assistentin, der Verleger und der Gärtner haben regelmäßig Kontakt zu ihr. Von der übrigen Welt lebt sie völlig abgeschottet, aber als Autorin ist sie fleißig, liefert jedes Jahr einen Roman, immer wieder Bestseller.

Vor 12 Jahren, im August 2002, fand sie ihre jüngere Schwester Anna in deren Wohnung ermordet, in einer Blutlache und sah auch noch kurzzeitig den Mörder, der ihr aber unbekannt war. Dieses Erlebnis hat sie stark traumatisiert, sie leidet unter Angstzuständen und Panikattacken und fühlt sich nur in ihrem abgeschlossenen Haus einigermaßen sicher. Die Frage WARUM Anna sterben mußte beschäftigt sie immer noch.

Da plötzlich bricht es wie ein Erdbeben über sie herein - sie sieht den Mörder ihrer Schwester im Fernsehen, als Moderator eines bekannten Senders. Linda ist sich sicher, dass die Polizei ihr nicht glauben wird, schon damals hatte sie den Eindruck, eigentlich die Hauptverdächtige zu sein.
Und dann entwickelt sie einen teuflischen Plan, wie sie diesen Journalist Victor Lenzen mit den ihr zur Verfügung stehenden Mitteln eine Falle stellen kann. Die Presse ist scharf auf ein Interview mit ihr, ihm und nur ihm wird sie eines gewähren und ihn so ins Haus locken. Der Anlaß für das Interview - ein neuer Roman - ein Roman über die damalige Tat! Also wechselt sie - völlig überraschend für ihren Verleger das Genre - sie wird einen Thriller schreiben. Und nur sie und der Mörder wissen, dass es sich dabei um eine tatsächlich stattgefundene Tat handelt.
Linda bereitet sich intensiv auf das Interview vor, holt Ermittlungen über Lenzen ein (schon das Internet gibt ja viel preis), läßt sich über Verhörtaktiken aufklären, stählt ihren Körper, beschafft sich illegal eine Pistole. Sie läßt ein Zimmer verwanzen, denn schließlich muß sie das Geständnis Lenzens ja aufzeichnen.
So perfekt vorbereitet öffnet sie am Tag X Lenzen die Tür...

Das Interview ist für die Beteiligten und für den Leser eine psychische Herausforderung, ein wahres Wechselbad der Gefühle, es knistert nur so vor Spannung. Und das nicht nur in der eigentlichen Handlung, denn Melanie Raabe hatte die hervorragende Idee, einen Roman im Roman einzubauen. Mit fließenden Übergängen lesen wir so zwischen den Kapiteln der aktuellen Handlung, Kapitel des Thrillers, den Linda geschrieben hat, und das steigert die Spannung teilweise unermeßlich.

meine Einschätzung

ein phantastisches Buch, Lesegenuß für jeden Freund intelligenter Krimis, eine Buchidee, die sich wunderbar aus dem Einheitsbrei abhebt. Keine Entspannungslektüre mal so für zwischendurch, hier kommt es auf wortgenaues Lesen an. Nachdem ich mich eingelesen hatte, mußte ich einfach immer weiterlesen.
Obwohl vom Inhalt und Aufbau ganz anders, erinnerte es mich in der Raffinesse an "Schilf" von Julie Zeh, in beiden wird der Leser gefordert.
Gelegentliche Wiederholungen stören zwar manchmal den Lesefluß, sind aber schnell wieder vergessen.

Wenn dies Melanie Raabes Debütroman war, so kann man nur hoffen, dass sie genau wie ihre Protagonistin Linda noch viele Bücher schreiben wird.