Abwechslungsreich erzähltes, gelungenes Debüt über eine besondere Freundschaft

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alekto Avatar

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Der Roman beginnt im Jahr 1928. Sofia Colicchio und Antonia Russo, deren Eltern Tür an Tür leben, sind erst fünf Jahre alt und beste Freundinnen, obwohl sie in ihrem Charakter so verschieden sind. Auch Antonias Mutter Lina und Sofias Mutter Rosa sind befreundet, seit sie zur gleichen Zeit schwanger gewesen sind. Zusammen sorgen sich Lina und Rosa, wenn ihre Männer mehrmals die Woche nachts fort bleiben müssen. Denn Antonias Vater Carlos und Sofias Vater Joey arbeiten für die Mafia in Gestalt von Tommy Fianzo, den die kleine Sofia und Antonia Onkel Tommy nennen müssen, obwohl sie nicht verwandt sind.
Seit Carlos Vater ist, sucht er einen Ausweg. Er will raus aus der Familie. Doch als Tommy davon Wind bekommt, nimmt das Drama seinen Lauf. Carlos muss sterben und Antonia verliert am gleichen Tag auch ihre Mutter. Wie wird es mit der kleinen Antonia nun weitergehen?

Die Familie ist der gelungene Debütroman von Naomi Krupitsky, der in fünf Büchern unterteilt ist, die von den Zeiträumen 1928 - 1937, 1937 - 1941, 1941 - 1942, 1942 -1947 und 1947 - 1948 handeln. Im Mittelpunkt stehen dabei Sophia, Antonia, deren Freundschaft und Familie.
Da Sofia und Antonia zu Beginn des Romans erst fünf Jahre alt sind, stehen da mehr ihre Eltern Joey und Rosa bzw. Carlos und Lina im Vordergrund, was mir gut gefallen hat. Denn so habe ich erfahren, wie es den Vater von Antonia und den Großvater von Sofia von Sizilien nach New York verschlagen hat. Auch fand ich interessant, wie es dazu gekommen ist, dass Antonias und Sofias Vater begonnen haben für die Mafia zu arbeiten, um in die Familie aufgenommen zu werden. Dabei sind der Weg von Joey und Carlos in die Familie verschieden gewesen, da Joey sich bewusst dafür entschieden hat, als er nicht so wie sein Vater malochen wollte. Carlos hingegen ist da in etwas hineingeraten, dessen er sich zu Beginn gar nicht bewusst gewesen ist. Schwer seekrank hat er Tommy auf seiner Überfahrt nach New York kennengelernt, der sich dann um ihn gekümmert hat.
Sofia ist ein Freigeist mit schmutzigen Fingern und ungekämmtem Haar, der bereits in jungen Jahren wild und energiegeladen ist. Sie ist Daddys kleiner Liebling und trägt so wie ihr Vater eine ungestüme Wut in sich, die sich zum ersten Mal entlädt, als sie sieben ist und einen Jungen ihres Alters verletzt. Sophia polarisiert, da ihr Charme anziehend, ihr unstillbarer Hunger nach Macht eher abstoßend auf mich wirkte. Doch entwickelt sich ihr Charakter im Verlauf dieses Romans kaum. Sophia ist schon früh diese ungewöhnliche, intensive Persönlichkeit, die einen Hang zur Gewalt hat und sich zu Gefahr hingezogen fühlt.
Die kleine Antonia dagegen ist ordentlich, ruhig und in sich gekehrt. Sie kreist um das helle Licht, das ihre Freundin Sofia ausstrahlt. Antonia ist nicht nur die brave Tochter, sondern wird auch die vorbildliche, fleißige Schülerin, die ihre freien Stunden in der Bibliothek verbringt. Und als sie erstmals als Teenager selbst eine Entscheidung trifft, um wenige Stunden am Sonntag so zu verbringen, wie es ihr gefällt, schleicht sie sich heimlich zu einer katholischen Kirche fort, um dort dem Gottesdienst zu lauschen.

Naomi Krupitsky findet besondere Bilder, um etwa die Spiele der kleinen Mädchen, die in der Mafia Familie groß werden, zu beschreiben. Nebenher lässt die Autorin immer wieder ungewöhnliche, auch poetische Beschreibungen für das Geschehen einfließen, die in die Eindrücke, Empfindungen und Gedankengänge ihrer Figuren eingebettet sind und so eine andere Sicht auf die Handlung und ihre Figuren eröffnen. Die ausgefallenen Beschreibungen und außergewöhnlichen Assoziationen verleihen diesem Roman einen ganz eigenen Stil, der einen interessanten Kontrast zu der Zeit, in der die Geschichte spielt, und deren Mafia Teilen bildet.
Die Familie ist sehr spannend und ausgesprochen abwechslungsreich erzählt, da der Roman neben der Perspektive seiner Protagonistinnen Antonia und Sophia etwa auch die Perspektive ihrer Eltern und später dann die Perspektive ihrer Ehemänner umfasst. Auch hat die Handlung einige unerwartete Wendungen, die ich nicht habe kommen sehen, und die auch in überraschenden Entscheidungen seiner Charaktere begründet liegen.
Vielleicht wäre in dieser Hinsicht tatsächlich weniger mehr gewesen. Damit meine ich, dass der Roman vielleicht stärker gewesen wäre, wenn er die Vielzahl seiner Perspektiven außen vor gelassen hätte und sich stattdessen auf Antonias Blickwinkel beschränkt hätte, zumindest sobald Sophia und Antonia ein wenig größer gewesen wären. Denn Antonias Sicht habe ich über weite Strecken als die glaubwürdigste empfunden. Auch ist Antonia meist der Ruhepol im sie umgebenden Sturm, so dass es sich angeboten hätte, die Geschehnisse der Familie im Allgemeinen sowie die Handlungen von Sophia und deren späteren Ehemännern im Speziellen durch Antonias Augen zu betrachten. Zudem hätten ein paar überraschende Entscheidungen weniger womöglich der Glaubwürdigkeit der Figuren gut getan, die sich so mehr als nur einmal plötzlich ganz anders verhalten.

Die Familie ist ein starkes Debüt von Naomi Krupitsky, das mich besonders mit seinem eigenwilligen Schreibstil und seinen ungewöhnlichen Figuren überzeugt hat. Wer einen reinen Mafia Roman erwartet, wird aber eher enttäuscht werden. Denn neben dem gelungenen Beginn des Romans in bester Mafia Manier und einem ebensolchen Ende spielt die Familie im Mafia Sinne über weite Strecken des Romans nur eine nebensächliche Rolle. Das betrifft insbesondere die Teile, in denen Sophia und Antonio noch jung sind und zur Schule gehen, aber auch die Zeit, in der sie schwanger sind und Mütter werden. Da stehen dann die Familie im eigentlichen Sinne und die Freundschaft von Sophia und Antonia, die eher Familie als Freundinnen sind, im Vordergrund. Da lebt der Roman von der eigenwilligen Dynamik dieser besonderen Freundschaft, die durch die gegensätzlichen Charaktere, Antonias belastende Vergangenheit und Sophias schroffe Ecken und Kanten entsteht.