Leider kein besonderes Buch

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Wenn Elena Ferrante auf Dennis Lehane trifft. In ihrem Debüt Die Familie erzählt Naomi Krupitsky von zwei Frauen, die im Umfeld der Mafia von New York aufwachsen und vor schwierigen Entscheidungen stehen. Lektüre, die leider nicht so wirklich mitreißt und bei der unweigerlich das Gefühl bleibt, dass man aus dem Plot deutlich mehr hätte herausholen können.

Hat man das Typografie-Gewitter mit sage und schreibe fünf unterschiedlichen Schriftarten auf dem Cover überstanden, so findet man sich wieder auf den Docks von New York im Jahr 1948, auf denen ein Schuss abgefeuert wird. Wer geschossen hat, wer getroffen wurde und wie es zu der Tat kam, das wird sich erst spät im Buch auflösen. Bis es soweit ist, startet Naomi Krupitsky ihre chronologisch sortierte Erzählung im Jahr 1928, in dem sie die Lebensgeschichte der Freundinnen Sofia und Antonia erzählt, die im Red Hook Viertel von Brooklyn aufwachsen:
Sofia und Antonia

Sofia Colicchio ist ein wildes Wesen mit dunklen Augen. Sie läuft schnell und spricht laut und ist die beste Freundin von Antonia Russo, die nebenan wohnt.

Die beiden leben in Brooklyn, in einem Viertel, das Red Hook heißt und an das Viertel grenzt, aus dem Carroll Gardens und Cobble Hill werden wird. Red Hook ist neuer als Lower Manhattan, aber älter als Canarsie und Harlem, diesen gefährlichen Außenposten, wo fast alles erlaubt ist. Viele der Gebäude sind niedrige Holzschuppen nah am Fluss, aber weiter vom Wasser entfernt, in Richtung der immer noch niedrigen, aber beständigeren Stadthäuser, wachsen die Dächer höher. Und alles ist dunkelgrau vom Wind und Regen und vom Ruß in der Luft.
Naomi Krupitsky – Die Familie

Noch in der Kindheit muss Antonia den Verlust ihres Vaters verkraften, da dieser seinen Arbeitgeber, den Mafiaboss Tommy Fianzo, um Einnahmen geprellt hat. Sofias Vater hingegen bewährt sich in der Mafiahierachie und sorgt mit kriminellen und gewalttätigen Geschäften für das Auskommen der Familie.

Diffus nehmen die beiden Mädchen schon in der Kindheit wahr, was um sie herum passiert. Je älter sie werden, umso klarer steht ihnen der Charakter der „Familie“ vor Augen, deren Teil auch sie sind.

Beide werden sich verlieben, heiraten und Kinder bekommen – ehe sie sich vor Entscheidungen gestellt sehen, die schon ihre Eltern treffen mussten und die schon einmal tödliche Konsequenzen hatten.

Dem Kreislauf der Familie entgeht man nicht

Es ist ein Doppelporträt zweier Freundinnen, die in einen tödlichen Umfeld aufwachsen, das ihre Eltern trotzdem so gut es geht vor ihnen fernhalten, ehe das Verbrechen auch in den Familienalltag einsickert. Über die Kindheit und die Jugendzeit bis hinein ins Erwachsenenalter zeigt Krupitsky das Aufwachsen der beiden Frauen – und wie schwer es ist, sie von der Familie zu lösen, in die sich beide auf unterschiedliche Art und Weise wieder einfügen.

So heiratet Sofia einen jüdischen Adlatus, Antonia hingegen ehelicht Beide finden unterschiedlich in ihre Rollen als Ehefrauen und Mütter hinein – und doch werden die intergenerationalen Traumata und Schrecken auch in der nächsten Generation wieder mal indirekt und mal auch ganz direkt wieder auftreten. Dem Kreislauf der Familie entgeht man eben leider nicht ganz so. Das ist von der Erzählabsicht her ganz gut gemacht und handwerklich lässt sich Naomi Krupitsky nichts vorwefen.

Fast mustergültig beginnt das Buch mit der Spannung eines Schusses, ehe die Situation aufgelöst wird, der Fokus auf die beiden Freundinnen ist stets da – und doch bleibt der Eindruck, dass das Buch über die offensichtlichen Schau- und Erzählwerte nicht wirklich viel zu bieten hat.

Wo bleibt der USP?

Die Handlung kennt man aus dutzenden Mafiafilmen und Romanen, von Mario Puzo bis hin zu Dennis Lehane, die Beziehung zweier italienischstämmiger Freundinnen und das Aufwachsen inklusive aller Widerstände und Entwicklungen hat Elena Ferrante in ihrem Neapolitanischen Quartett deutlich nuancierter und tiefgreifender erfasst. Das Versprechen eines feministischen Blicks auf die amerikanische Mafiawelt in der ersten Hälfte 20. Jahrhundert, das ich mir nach Aufmachung und Klappentext erhoffte, es blieb leider uneingelöst.

Und so bleibt für mich die Frage, ob es die Lektüre des Buchs braucht, wenn doch andere Bücher in unterschiedlichen Belangen gezeigt haben, dass auch tieferschürfendes Erzählen und Ausleuchten möglich ist, verbunden mit mehr Spannung und Ausdeutung der Figuren. Einen USP, einen Unique Selling Point, also ein Alleinstellungsmerkmal konnte ich zumindest in Krupitskys Debüt nicht ausmachen.
Fazit

Gewiss, Die Familie ist gut gemacht und gut erzählt. Aber gerade im Vergleich zu anderen Titeln fällt es dann eben doch auf, dass Krupitsky etwas an der Oberfläche bleibt und nicht wirklich tiefer in die Strukturen der Familie und der Verfassung ihrer Heldinnen einsteigt. Da helfen nicht einmal die fünf unterschiedlichen Schriftarten auf dem Buchcover.