Psychologisch spannender Familienroman

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Naomi Krupitskys Roman „Die Familie“ erzählt in poetischer und zugleich nüchterner Sprache die Geschichte zweier Familien aus dem New Yorker Mafia-Milieu. Die zwei italienischen Einwanderer Carlo Russo und Giuseppe „Joey“ Colicchio geraten als junge Männer in die „Familie“ des Mafia-Boss Tommy Fianzo hinein. Ihre Töchter Antonia und Sofia wachsen gemeinsam auf und bekommen als Kinder kaum etwas von den Machenschaften der Mafia mit. Als jedoch Antonias Vater Carlo in einem Urlaub der beiden Familien verschwindet, entsteht ein Riss in der engen Freundschaft, die bisher zwischen ihnen bestand. Die Geschichte begleitet Antonia und Sofia durch Kindheit und Jugend, durch kleine und große Kriege und vor allem durch innere und äußere Konflikte, die die sozialen Machtgefüge der Mafia mit sich bringen.

Tatsächlich habe ich beim Lesen des Klappentextes ein weitaus fulminanteres Werk erwartet, mehr „Furore“, mehr Pageturner-Erlebnis, mehr Spannung. Diese liegt aber tatsächlich weniger in heftigen Gewaltszenen und blutigen Bandenkriegen, sondern vielmehr in der Psychologie des Ganzen. Krupitsky schafft differenzierte Charaktere und verstrickt diese in einem emotional komplexen Netz aus Liebe und Gewalt. Liebe und Gewalt, scheinbar die zwei größten Gegensätze. Der Autorin gelingt es dennoch, sie zusammenzubringen, sowie auch die zwei scheinbar vollkommen unterschiedlichen Protagonistinnen Antonia und Sofia, welche im Verlauf der Handlung enorme Veränderungen durchlaufen.

Besonders gefallen hat mir der bildhafte Schreibstil. Krupitskys Art, Gefühle zu beschreiben, ist eindringlich und einzigartig. So schreibt sie über einen Mann, der große Schuldgefühle empfindet: „Da, wo sein Magen und sein Herz sein sollten, hat sich eine brodelnde, widerliche Grube aufgetan“ (S.49). Viele Beschreibungen lassen sich durch ihre Intensität beinahe in Wirklichkeit spüren.

Zusammenfassend würde ich sagen, dass „Die Familie“ weniger durch Extreme in der Handlung bestimmt wird. Vielmehr handelt es sich um eine sprachlich sensible und psychologisch ansprechende Familiengeschichte, deren Reiz im Detail liegt. Wer sich einen blutigen Mafia-Thriller erhofft, sollte zu einem anderen Buch greifen. Wer sich für soziale Gefüge, Machtgefälle, Identitätsfragen und große Emotionen interessiert, ist bei Krupitskys Roman genau richtig.