Groths Archiv der Unmenschlichkeit
Vor eineinhalb Jahren lernte ich die Autorin Susanne Tägder mit ihrem ersten Kriminalroman „Das Schweigen des Wassers“ kennen und war begeistert vom Stil und der Empathie für ihre Protagonisten. Denn sie behandelt alle gleich, seien es die Opfer, die Täter, die betroffenen Familien oder die Zeugen, das war damals so und auch im neuen Roman ist es nicht anders. Ich schreibe bewusst im neuen Roman und nicht Krimi, denn Susanne Tägder sucht nicht nur kriminelle Aufhänger für ihre Geschichten, sie verpackt sie kunstvoll in zeitgenössische Romane. Der Leser befindet sich innerhalb kürzester Zeit in den frühen 1990er-Jahren, ohne Handy, ohne Internet, ohne Facebook, Whatsapp oder Instagram, keine KI hilft. Jedes Stück Papier, jedes Stück Wissen wird noch per Hand bewegt, die kleinen Zettel sind es dann auch, die das Zünglein an der Waage sein werden bei den Ermittlungen im neuen Fall.
Der Leser begegnet Arno Groth wieder, der gebürtige Wechternhagener, der über 20 Jahre in Hamburg lebte und Polizist war, nun zurück ist in der ostdeutschen Kleinstadt. Der Unterschied könnte nicht größer sein, der sich ihm zeigt und doch wurde und wird sein Archiv der Unmenschlichkeit im Westen wie im Osten gleichermaßen gefüllt.
An einen dunklen Winterabend mitten in der Woche verschwindet ein Kind, Matti Beck, auf dem kurzen Weg zwischen Wohnung und Kaufhalle, den er schon so viele Male gegangen ist. Zuerst suchen die Eltern, dann die Polizei, vergeblich. Der Elfjährige bleibt verschwunden, Groth und sein Team drehen jeden Stein um, befragen die Eltern, Kinder, Lehrer, Mieter der Wohnsiedlung. Nichts. Aber es liegt ein Raunen in der Luft, zuerst leise, dann deutlicher, es sei schon einmal ein Junge verschwunden, der Fall nie aufgeklärt. Groth beißt sich fest, glaubt, es könnte derselbe Täter sein. Sein Ex-Kollege Gerstacker, kürzlich aus dem Dienst entlassen wegen seiner früheren Stasitätigkeit, war vor sechs Jahren der leitende Kommissar. Ihn wird Groth um Hilfe bitten. Denn der Vermisstenfall wird zum Mordfall, als das tote Kind endlich gefunden wird.
Ein spannender und bewegender Seitenblick gelingt der Autorin auf die Lebensgeschichte der Taxifahrerin Ina und ihrem Sohn Benno. Hier zeigt sich die erzählerische Kraft von Susanne Tägder genauso, wie bei der Schilderung der Verhältnisse, in denen der Verdächtige Karl lebt. Mir gefällt diese Art der Annäherung an ihre Protagonisten, auch wenn ich sie vielleicht nicht alle mag oder nicht verstehen kann.
Der Leser erlebt im Roman eine Zeit, die von Missgunst, Ärger, Verlusten, Alkohol, Gewalt, Arbeitslosigkeit, Misstrauen, Armut und auch von rechten Einflüssen gezeichnet ist. Obwohl seitdem über 30 Jahre vergangen sind, kommt an mancher Stelle beim Lesen der Gedanke auf, dass diese nach der Wende für die Menschen ungünstigen Verhältnisse bis heute nachwirken. Das Leben auf dem Mönkeberg, der Plattenbausiedlung am Rande Wechtershagens, ist ein Siedekessel für entstehendes Unheil. Der Roman spielt vor allem dort und zeichnet ein tristes und trauriges Bild. Die nun neu entstandenen „blühenden Landschaften“ sind das eine, die innere Zufriedenheit mit den Ereignissen und politischen Entwicklungen sind die andere Seite der Medaille. Wie mag das jetzt sein auf dem Mönkeberg?
Groth geht seinen Weg, aber nicht immer den, den die Vorgesetzten erwarten. Auch mit seiner ehemaligen Schulkameradin Irina Diehl und ihrer nun neuen Beziehung läuft nicht alles rund, er weiß nicht einmal, ob er überhaupt eine neue Beziehung hat. Das gemeinsame Interesse an Uwe Johnson ist ein schönes literarisches Bindeglied. Erst nach langen Anläufen wagt er Irina zu erzählen, was mit seiner Tochter Saskia geschah. Dass Groth weitere Fälle lösen könnte, davon bin ich überzeugt, wie es in seinem Privatleben weitergehen wird, das interessiert mich fast noch mehr.
So wie es Wechtershagen auf der Deutschlandkarte nicht gibt, so gibt es auch kein Braunlage im Erzgebirge. Trotzdem hat mich diese Ortsbezeichnung etwas irritiert, die im Laufe der Geschichte auftaucht. Ich musste sofort an Braunlage im Harz denken, das bekanntlich im Westen liegt, insbesondere in den 1980er-Jahren war das kein Urlaubsort für DDR-Bürger. Da wäre aus meiner Sicht eine andere Ortsnamenswahl besser gewesen.
Der Reiz des Neuen hat sich gelegt, aber der Schreibstil von Susanne Tägder und ihre Detailgenauigkeit haben mich auch bei diesem Roman so sehr gefesselt, dass ich ihn kaum weglegen konnte. Interessant ist es, am Ende von den Recherchen der Autorin und den tatsächlichen Verbrechen zu lesen. Das gibt dem Buch noch einmal eine besondere Bedeutung. Wer das erste Buch nicht kennt, kann dann auch gleich noch eine Leseprobe genießen.
Fazit: ein fesselnder Kriminalroman mit viel Zeitgeschichte und Lokalkolorit. Mir hat er sehr gefallen. Leseempfehlung!
Der Leser begegnet Arno Groth wieder, der gebürtige Wechternhagener, der über 20 Jahre in Hamburg lebte und Polizist war, nun zurück ist in der ostdeutschen Kleinstadt. Der Unterschied könnte nicht größer sein, der sich ihm zeigt und doch wurde und wird sein Archiv der Unmenschlichkeit im Westen wie im Osten gleichermaßen gefüllt.
An einen dunklen Winterabend mitten in der Woche verschwindet ein Kind, Matti Beck, auf dem kurzen Weg zwischen Wohnung und Kaufhalle, den er schon so viele Male gegangen ist. Zuerst suchen die Eltern, dann die Polizei, vergeblich. Der Elfjährige bleibt verschwunden, Groth und sein Team drehen jeden Stein um, befragen die Eltern, Kinder, Lehrer, Mieter der Wohnsiedlung. Nichts. Aber es liegt ein Raunen in der Luft, zuerst leise, dann deutlicher, es sei schon einmal ein Junge verschwunden, der Fall nie aufgeklärt. Groth beißt sich fest, glaubt, es könnte derselbe Täter sein. Sein Ex-Kollege Gerstacker, kürzlich aus dem Dienst entlassen wegen seiner früheren Stasitätigkeit, war vor sechs Jahren der leitende Kommissar. Ihn wird Groth um Hilfe bitten. Denn der Vermisstenfall wird zum Mordfall, als das tote Kind endlich gefunden wird.
Ein spannender und bewegender Seitenblick gelingt der Autorin auf die Lebensgeschichte der Taxifahrerin Ina und ihrem Sohn Benno. Hier zeigt sich die erzählerische Kraft von Susanne Tägder genauso, wie bei der Schilderung der Verhältnisse, in denen der Verdächtige Karl lebt. Mir gefällt diese Art der Annäherung an ihre Protagonisten, auch wenn ich sie vielleicht nicht alle mag oder nicht verstehen kann.
Der Leser erlebt im Roman eine Zeit, die von Missgunst, Ärger, Verlusten, Alkohol, Gewalt, Arbeitslosigkeit, Misstrauen, Armut und auch von rechten Einflüssen gezeichnet ist. Obwohl seitdem über 30 Jahre vergangen sind, kommt an mancher Stelle beim Lesen der Gedanke auf, dass diese nach der Wende für die Menschen ungünstigen Verhältnisse bis heute nachwirken. Das Leben auf dem Mönkeberg, der Plattenbausiedlung am Rande Wechtershagens, ist ein Siedekessel für entstehendes Unheil. Der Roman spielt vor allem dort und zeichnet ein tristes und trauriges Bild. Die nun neu entstandenen „blühenden Landschaften“ sind das eine, die innere Zufriedenheit mit den Ereignissen und politischen Entwicklungen sind die andere Seite der Medaille. Wie mag das jetzt sein auf dem Mönkeberg?
Groth geht seinen Weg, aber nicht immer den, den die Vorgesetzten erwarten. Auch mit seiner ehemaligen Schulkameradin Irina Diehl und ihrer nun neuen Beziehung läuft nicht alles rund, er weiß nicht einmal, ob er überhaupt eine neue Beziehung hat. Das gemeinsame Interesse an Uwe Johnson ist ein schönes literarisches Bindeglied. Erst nach langen Anläufen wagt er Irina zu erzählen, was mit seiner Tochter Saskia geschah. Dass Groth weitere Fälle lösen könnte, davon bin ich überzeugt, wie es in seinem Privatleben weitergehen wird, das interessiert mich fast noch mehr.
So wie es Wechtershagen auf der Deutschlandkarte nicht gibt, so gibt es auch kein Braunlage im Erzgebirge. Trotzdem hat mich diese Ortsbezeichnung etwas irritiert, die im Laufe der Geschichte auftaucht. Ich musste sofort an Braunlage im Harz denken, das bekanntlich im Westen liegt, insbesondere in den 1980er-Jahren war das kein Urlaubsort für DDR-Bürger. Da wäre aus meiner Sicht eine andere Ortsnamenswahl besser gewesen.
Der Reiz des Neuen hat sich gelegt, aber der Schreibstil von Susanne Tägder und ihre Detailgenauigkeit haben mich auch bei diesem Roman so sehr gefesselt, dass ich ihn kaum weglegen konnte. Interessant ist es, am Ende von den Recherchen der Autorin und den tatsächlichen Verbrechen zu lesen. Das gibt dem Buch noch einmal eine besondere Bedeutung. Wer das erste Buch nicht kennt, kann dann auch gleich noch eine Leseprobe genießen.
Fazit: ein fesselnder Kriminalroman mit viel Zeitgeschichte und Lokalkolorit. Mir hat er sehr gefallen. Leseempfehlung!