Groths zweiter Fall und ein Cold-Case von früher

Voller Stern Voller Stern Voller Stern Voller Stern Voller Stern
buchdoktor Avatar

Von

Hauptkommissar Arno Groth wird Anfang der 90er als Aufbauhelfer Ost in seine alte Heimat Mecklenburg geschickt, um sich nach einem Zusammenbruch wieder in den Polizeidienst zu integrieren. Groth arbeitet u.a. als Dozent für Vernehmungstaktik in der Polizeiausbildung in Pasewalk. Er ist noch dabei, sich mit erfahrenen Kollegen wie Gerstacker zusammenzuraufen, die nicht einsehen, nach der Pfeife der „Neuen“ aus dem Westen zu tanzen, die hier in kurzer Zeit die Karriereleiter hinauf fallen. Als der 12-Jährige Matthias/Matti vermisst gemeldet wird, trifft Groth, der den Unfalltod seiner Tochter längst nicht verarbeitet hat, auf eine Familie, in der die Eltern mit ihren Problemen beschäftigt sind und kaum etwas über die Wege ihrer jugendlichen Kinder wissen. Zeugenbefragungen zeigen das Bild einer Bevölkerung, die nur die allernötigsten Aussagen herausrückt und zugleich darüber klagt, dass die Polizei früher schneller reagierte und den Bürgern nach der Wende noch ein höheres Sicherheitsgefühl schuldet. Wer hätte sich zu DDR-Zeiten Vertretern der Staatsmacht gegenüber diesen Ton herausgenommen …

Die Suche nach Matti führt die Ermittler in einen offiziell unbewohnten Wohnblock, in den Jugendclub, der Jugendlichen aller politischen Einstellungen offen steht, und konfrontieren sie mit der Faszination der jüngeren Kinder für rechtsradikale Aktivitäten der Älteren. Der Kiez, in dem Groth und seine junge Polizeischülerin Marlene Thiese unterwegs sind, besteht aus einer Reihe von Wohnblocks, der Kaufhalle, einer ehemaligen Brauerei, Kleingärten und den Fußwegen, auf denen die Kinder relativ unbeobachtet unterwegs sind. Als Matti in einem Keller tot aufgefunden wird und man sich an einen früheren Vermisstenfall erinnert, stellt die Frage, ob eher nach einem fremden Täter oder einer Matti vertrauten Person gefahndet werden soll. Zu einer Zeit, als private PKWs und Telefonanschlüsse noch selten waren, wäre z. B. ein Ansatz, mit welchem Verkehrsmittel ein Verdächtiger an seinen Tatort gelangt sein könnte.

Uwe-Johnson-Liebhaber Arno Groth fühlt sich aktuell wie zwischen Baum und Borke, als er sich entscheiden muss, ob er sich nach seinem Einsatz als Interimsleiter der Dienststelle für den Posten des Dienststellenleiters bewerben will. Seit sein Kollege Gerstacker wegen eines lässlichen Fehlers (wie alle finden) suspendiert ist und ein forscher junger Staatsanwalt aus Westdeutschland seinen Dienst antrat, hat sich auch für Groth das Betriebsklima unangenehm entwickelt. Indem Groth sich mit Gerstacker austauscht, Kontakt zu einem erfahrenen ostdeutschen Profiler aufnimmt und eine Zeugin auftaucht, die gute Gründe hat, anonym zu bleiben, konzentrieren sich die Ermittlungen auf die Frage: vertrauter Täter oder „großer Unbekannter“. Groth entdeckt dabei seine wahren Talente und hat sich damit auseinanderzusetzen, auf welcher Seite er steht.

Fazit
Susanne Tägder nimmt ihre Leser:innen auf eine atmosphärisch überzeugende Zeitreise in die 90er Jahre und erzählt an realen Ereignissen entlang, die 1983-94 stattgefunden haben. Das fast dörfliche Setting, in dem die beteiligten Figuren einander über den Weg laufen, die Atmosphäre der Unzufriedenheit der 90er Jahre und die differenziert gezeichneten Figuren fügen sich zu einem fesselnden Krimi. Auf eine Fortsetzung mit Arno Groth bin ich schon gespannt.