Die furiose Vergeltung der Madame Péricourt

Voller Stern Voller Stern Voller Stern Voller Stern Leerer Stern
amara5 Avatar

Von

Der historische Roman „Die Farben des Feuers“ des Goncourt-Preisträgers Pierre Lemaitre ist im Klett-Cotta Verlag erschienen und rund 480 Seiten stark.

Paris, im Jahre 1927: Marcel Péricourt, zentrale Figur der französischen Finanzwelt und Vorstand des Bankimperiums Péricourt wird mit einem opulenten Trauerzug und allerlei Prominenz beerdigt - seine Tochter Madeleine ist nach dem Selbstmord des Bruders Alleinerbin und neue Vorstandsvorsitzende. Als beim Trauerzug Madeleines Sohn Paul aus dem Fenster direkt auf den Sarg von Marcel Péricourt fällt und querschnittsgelähmt bleibt, beginnt ein bunter Reigen an Zwischenfällen und Intrigen, der das Leben vieler Beteiligter für immer verändern wird.

Der ehemalige Prokurist Gustave Joubert bringt zusammen mit dem finanziell gebeutelten Onkel Charles die Péricourt-Bank mit Erdöl-Aktien zu Fall - und wirtschaftet sich hinterlistig Madeleines Vermögen in die eigene Tasche. Madeleine, ehemalige Frau des Bourgeoisie und nun verarmte Mutter eines im Rollstuhl sitzenden Kindes, ist am Verzweifeln und wird abwechselnd von Schuld, Depression und Wut geplagt. Als sie aufzudecken beginnt, wer sie alles hintergangen hat (Gustave, Charles, das Hausmädchen Léonce und der Hauslehrer André) gewinnt der Groll über ihre Moral und sie schmiedet einen furiosen, detailreichen und niederträchtigen Plan der Vergeltung, der einem Psychothriller gleicht und von dem sie sich nicht abhalten lässt - in einer Epoche der Wirschaftskrise und der schwierigen Zeit vor Ausbruch des Zweiten Weltkriegs, wo jeder schaut, wo er selbst bleibt, Zeitungen bestechlich sind, die Börse und Politik wankt und sich der Faschismus und Nationalsozialismus in anderen Ländern breit macht.

Dem französischen Schriftsteller Pierre Lemaitre ist mit diesem Roman etwas Großes gelungen - Historie und Fiktion werden gekonnt gemischt, die Charaktere sind feinstens herausgearbeitet und agieren in diesem Weltgeschehen gewaltig mit - da werden Düsentriebwerke erfunden und nutzlose Pläne an die Nazis verkauft, Zeitungsredakteure bestochen, Morde und Steuerhinterziehung untergejubelt, Wirtschaftsbetriebe sabotiert - ein ausgetüffelter, feingliedriger Plot, der Stück für Stück ineinander läuft. Lemaitre wechselt dabei geschickt zwischen der Perspektive der Protagonisten, sehr eloquent und immer mit einem schelmischen Augenzwinkern spricht er den Leser auch öfters direkt an, als wohne man einer riesigen Posse bei - was man auch tut.

Irrungen, Wirrungen, viele Zwischenfälle und auch sehr warme Passagen über menschliche Stärken und Schwächen machen den Roman aus - wie sich beispielsweise Madeleine rührend um Paul kümmert, der pfiffiger ist als jeder denkt, und mit Hilfe der burschikosen, polnischen Haushälterin und dem Operngesang von Solange Gallitano zu neuem Leben erweckt und Werbetexter wird.

Der Roman „Die Farben des Feuers“ ist anspruchsvoll, die Handlungen in dem politisch und wirtschaftlich gebeutelten Land erfordern starke Konzentration - aber jeder Leser, der durchhält wird von dem ausgezeichneten Schreibstil und Erfindungsreichtum Lemaitres belohnt - großartige Belletristik!