Die Rache der Madeleine Péricourt

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"Sie begriff, dass all das ein Zeichen der Zeit war: Diese war schrecklich brutal geworden."

Madeleine Péricourt ist nach dem Tod ihres Vaters Alleinerbin des Bankenimperiums Péricourt - in einer Zeit, als Frauen nicht einmal selbst ein Konto eröffnen konnten. Aus den Geschäften hält sie sich weitgehend heraus, der Prokurist Joubert hält sie auf dem Laufenden. Doch am Vorabend des Zweiten Weltkrieges herrschen in Paris Habgier und Neid, und so wird die steinreiche Madeleine kurzerhand zum Opfer eines ausgefeilten Komplotts. Mittellos, wie sie nun ist, nimmt sie die Fäden selbst in die Hand - und dreht den Spieß um.

Pierre Lemaitres neuer Roman lässt sich schwer in Worte fassen. Ich stimme dem FIgaro, der auf der Rückseite zitiert wird, im Grunde nicht zu - es handelt sich nicht um ein Epos. Vielmehr befinden wir uns in einem erweiterten Kammerspiel, bevölkert von den immer gleichen Figuren, die sich ständig neu zueinander positionieren. Und genau das macht die immense Spannung der Geschichte aus.

Spektakulär eröffnet Lemaitre die Bühne - mit einem Begräbnis und dem verhängnisvollen Sprung des kleinen Paul (Madeleines Sohn). Erst sehr viel später wird man herausfinden, was den Jungen tatsächlich zu dieser Tat getrieben hat. Als Madeleine es erfährt, wird sie endgültig zur Rachegöttin. Jeder Einzelne - der Prokurist Joubert, ihre ehemalige Gesellschafterin Léonce, Hauslehrer André Delcourt und ihr Onkel Charles -, der beim Komplott gegen sie mitgewirkt hat, wird Opfer ihrer schleichenden Rache. Mit welcher Präzision und Unverfrorenheit sie diese plant, ist beinahe unglaublich, wird sie doch zunächst als Dummchen präsentiert. Letztendlich ist Madeleine aber nur eine traurige, verbitterte Frau, die, wie sie selbst zugibt, immer dem Groll nachgibt. Reflektive Momente sind selten in diesem Buch, und irgendwie fühlt sich dieser Rachefeldzug auf perfide Weise richtig an.

Das mag vielleicht das größte Manko sein: Dass keine der Figuren in irgendeiner Form Sympathie weckt. Nicht einmal der gelähmte Paul, der mich v.a. zu Beginn mit seinem Stottern und seiner apathischen Art abgestoßen hat. Erst nach und nach schließt man den kleinen, bereits so jung vom Leben gebeutelten Mann ins Herz. Madeleine bleibt kalt und fremd, nur selten erhascht man einen Blick auf ihr Innenleben. Tja, und alle anderen Figuren sind Heuchler, Verschwörer, Missetäter und Egozentriker. Denen geschieht die Rache der Madeleine Péricourt doch recht - oder?

Man sollte allerdings trotz des feinen Humors, mit dem Lemaitre erzählt, nicht unterschätzen, wie anspruchsvoll dieser Roman ist - auch sprachlich. Vieles wird im Dunkeln gelassen oder nur angedeutet, man muss es sich aus Dialogen ableiten und immer mit voller Konzentration bei der Sache bleiben. Es ist also kein Buch, das man schnell weglesen könnte. Dafür beeindruckt dann die Gewieftheit und die Finesse, mit der Madeleine ans Werk geht. Alles fügt sich zusammen wie ein Puzzle - Lemaitre legt ein erstaunliches kombinatorisches Können an den Tag.

"Die Farben des Feuers" ist ganz und gar kein gewöhnlicher Epochenroman. Er spielt in der angespannten Zeit zwischen zwei Kriegen und deckt Habgier und Verfall an allen Ecken und Enden auf. Die eigentlich unbedarfte Madeleine wütet in diesem Sündenpfuhl wie eine griechische Rachegöttin - und sie ist sehr erfolgreich. Ein ungewöhnliches, irgendwie merkwürdiges Buch, das sich jeder Klassifizierung entzieht und dabei sehr lesenswert ist.