Ein Debüt mit Potential nach oben

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Alexandra Wilson ist von Beruf eine junge Prozessanwältin. In ihrem Debütroman erläutert sie einige Details zum Rechtswesen im Vereinigten Königreich. In dem hier erzählten Fall ist Mercedes Rosa Higgins eine Barrister (Rechtsanwältin, die Mandanten vor Gericht vertritt), die von ihrem Solicitor Craig (Rechtsanwalt für außergerichtliche Beratung) unterstützt wird.

Der junge farbige Emmett Hamilton soll während einer Auseinandersetzung mit Weißen den Krankenpfleger Thomas Dove in einem Park niedergestochen haben. Der Schwerverletzte stirbt später an den Folgen. Emmett schwört, die Tat nicht begangen zu haben, obwohl man die Tatwaffe bei ihm findet. Craig und Rosa übernehmen die Verteidigung. Bei einem Morddelikt ist die vorübergehende Freilassung auf Kaution nicht möglich und so kommt Emmett bis zum Prozess in Untersuchungshaft. Im späteren Verlauf erfährt man, dass Dove drogensüchtig und hoch verschuldet war.

Der Thriller erzählt abwechselnd in zwei verschiedenen Handlungsebenen. Wir erfahren von der farbigen Anwältin Mercedes Rosa Higgins, wie sie sich auf ihren ersten großen Fall vorbereitet. Sie ist ehrgeizig, gewissenhaft, hartnäckig und ist von der Unschuld ihres Mandanten überzeugt. Probleme in ihrem sozialen Umfeld belasten sie. Das Leben im gemeinsamen Haushalt mit ihrer Großmutter und ihrem kleinen Bruder gestaltet sich schwierig. Ihre privaten Pflichten leiden unter ihrer Arbeit.

Rosas Mandant Emmett Hamilton lebt ebenfalls bei seiner Großmutter. Der Junge ist introvertiert und misstrauisch allen gegenüber, die ihm helfen wollen. Er hält Aussagen zurück, die ihn entlasten könnten, aber gleichzeitig seine »Freunde« belasten würden. Man wird den Eindruck nicht los, dass er lieber eine lebenslange Gefängnisstrafe auf sich nehmen will, da er scheinbar um sein Leben fürchtet. Vorurteile gegen Farbige werden thematisiert.

Wilson beschreibt die Charaktere ihrer beiden Protagonisten Rosa und Emmett bildhaft und authentisch. Beide Figuren haben eine schwarze Hautfarbe und gehören somit einer sozialen Minderheiten-Gruppe an.

Zwei Zeugen belasten Emmett schwer. Sie sagen vor Gericht aus, dass er den weißen Thomas Dove in einem Park niedergestochen hat. Die Beweislage ist nahezu erdrückend und der Fall erscheint aussichtslos. Bei weiteren Recherchen stößt Rosa auf eine Person, die das Geschehen im Park als Augenzeugin verfolgt hat. Sie hat ebenfalls einen Migrationshintergrund und keine Aufenthaltsgenehmigung. Sie hat Angst und möchte vor Gericht daher nicht aussagen. Für den Prozessverlauf ist sie deshalb eine »feindliche Zeugin«.

Craig gibt der Verhandlung keine großen Aussichten auf Erfolg und wirkt daher eher desinteressiert. Das macht Rosa wütend, denn sie glaubt an die Unschuld von Emmett. Was macht sie da so sicher? Die Wahrheitsfindung in einem Prozess ist zweitrangig. Wichtig ist allein, was bewiesen werden kann und was nicht.

Es ist keineswegs überraschend, dass in Prozessen mit farbigen Angeklagten die ethnische Zugehörigkeit immer ein Thema ist. Schwarze Beschuldigte werden in Polizeiberichten nahezu subtil diskriminiert. Dass der weiße Prozessanwalt Craig nicht mit allem Nachdruck an der Verteidigung seines Mandanten arbeitet, verstärkt diesen Eindruck.

Über die Auswahl und Zusammensetzung der Geschworenen hätte es mehr Input geben können. Ohne große Einwände haben sich Staatsanwaltschaft und Verteidigung auf die Jurymitglieder geeinigt. Da es in diesem Prozess nicht viele Zeugen gab, spielten auch Kreuzverhöre nur eine untergeordnete Rolle. Es fällt auf, dass die Jury ausschließlich aus weißen Personen besteht, was einen diskriminierenden Anschein erweckt.

Das Prozessende konnte man nicht unbedingt erwarten und bringt durch einen Plot-Twist eine so nicht vermutete Auflösung. Rosa hegt Zweifel, dass sie als Anwältin an der richtigen Stelle ist. Deshalb denkt sie darüber nach, zur Staatsanwaltschaft zu wechseln. Hier hätte sie mehr Macht, um etwas zu verändern. Bei einer größeren Sorgfaltspflicht würden ihrer Meinung nach weniger Fälle vor Gericht landen. Das ist ein interessanter Ansatz.

Fazit

Das Debüt von Alexandra Wilson, selbst Prozessanwältin von Beruf, ist ein Justizthriller mit Potential nach oben. Der Plot ist über weite Strecken gut durchdacht und die Figuren sind weitestgehend authentisch. Auch wenn sie noch nicht das Format eines John Grisham oder eines Steve Cavanagh hat, sollte man diese Autorin im Auge behalten.
Wir erfahren viel darüber, wie das britische Rechtswesen funktioniert. Das beschreibt Wilson detailliert und interessant. Alles, was nicht dazugehört (z.B. private Verbindungen), wird aber ebenso genaustens beschrieben. Das kann man in begrenztem Maße mit einbeziehen, sollte aber im Rahmen bleiben, ansonsten leidet die Spannung darunter.
So bleibt der Spannungsverlauf während der ganzen Zeit nahezu konstant auf einem mittleren Level. Einige Cliffhanger können daran auch nichts ändern. Man vermisst das Pacing.