Am Anfang zäh, dann faszinierend

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"Die erste Generation baut auf, die zweite Generation erhält, und die dritte Generation verprasst den Reichtum" (chinesisches Sprichwort)

Die Idee ist an sich gut: Ein super-reicher Familienvater wird entführt, die Kinder sind fast noch zu klein, um es wirklich richtig mitzubekommen (eines noch nicht mal geboren) und doch belastet dieses Vorkommnis von da an die ganze Familie, denn jeder ist davon auf seine Art und Weise traumatisiert. Und ganz gemäß dem oben erwähnten Sprichwort sind die Kinder nicht nur traumatisiert, sondern auch im Wohlstand angekommen, aber damit umgehen können alle nicht.

Ich muss sagen, dass ich nach einem Viertel des Buchs kurz davor war, es abzubrechen. Ich habe gemerkt, wie ich nur so über die Seiten geflogen bin, aber nicht, weil es so spannend war, sondern weil ich immer wieder ganze Abschnitte fast auslassen wollte, weil mir die Relevanz oder der Ziel des Buches nicht so ganz klar war. Denn zuerst wird die Entführung beschrieben und da war ich noch voll dabei und mochte auch den Schreibstil, der mich ein bisschen an "Demon Copperhead" erinnerte: Etwas derb, sehr genau, hin und wieder witzig, aber auch oft hart. Doch dann werden der Reihe nach die Leben der zwei Söhne und der Tochter erzählt und den Aufbau hatte ich erst nicht verstanden. Vielleicht war es auch "schädlich" für mein Lesevergnügen, dass der erste Sohn, von dem berichtet wird, absolut unsympathisch ist und sein Sexleben in einer Genauigkeit beschrieben wurde, die ich nun wirklich nicht gebraucht hätte. Das war eher abstoßend und da ich noch nicht wusste, dass noch Erzählstränge der anderen Kinder folgen werden, war ich etwas frustriert.
Spätestens aber bei der Hälfte des Buches (Erzählung des zweiten Sohns) machte mir das Lesen dann aber wieder Spaß. Die Geschichte verflocht sich nun langsam und Telefonate, die die beiden gemeinsam geführt haben oder gemeinsame Treffen wurden wieder aufgegriffen und nun aus der anderen Sichtweise erzählt. Genau das Gleiche passiert dann am Ende noch mit der Tochter und schließlich folgt noch die Mutter und einige weitere Details.
Die Entführung an sich (Wer war es und wieso) rückt eher in den Hintergrund, wird aber nicht vergessen.

Der Verlag verspricht: "Eine große jüdisch-amerikanische Familiengeschichte, Jahrzehnte umspannend, die sich bereits jetzt wie ein Klassiker liest: sprachlich virtuos, fein beobachtet und sehr, sehr lustig."
Zustimmen kann ich bei: liest sich wie ein Klassiker und fein beobachtet
Sprachlich fand ich es zwar in Ordnung zu lesen, aber als virtuos würde ich es nicht bezeichnen, ich bin aber auch kein Literaturkritiker.
Sehr, sehr lustig finde ich eher unpassend. Man darf hier keine Komödie erwarten. Es gibt hin und wieder skurrile Stellen, die eine Art Situationskomik haben, aber immer mit einer Prise Galgenhumor, Fremdschämen oder Schadenfreude.