Eine große jüdisch-amerikanische Familie - scharfsinnig und bitterböse erzählt

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An einem vermeintlich unschuldigen Morgen im März des Jahres 1980 im beschaulichen Middle Rock erfährt das Leben der Familie Fletcher eine ungeahnte Wendung. Vater Carl wird auf dem Weg in seine Fabrik entführt. Damit wird ein Strudel von Ereignissen ausgelöst, die das Leben der Familie, trotz des glimpflichen Ausgangs der Entführung, nachhaltig prägen werden.

Ausgehend von der Entführung des Familienpatriarchen erzählt Taffy Brodesser-Akner, die Geschichte der Familie Fletcher. In den Fokus rückt sie dabei die Kinder der Familie, Nathan und Beamer, beide noch Kleinkinder zum Zeitpunkt der Entführung, und Jenny, die Jüngste, die erst nach dem Ereignis auf die Welt kam und doch nicht weniger dadurch geprägt wurde. Über die Entwicklung der Geschwister und die Einblicke in deren Berufs- und Familienleben macht die Autorin zugleich die Geschichte der gesamten Familie in wesentlichen Aspekten seit der Entführung nachvollziehbar. Brodesser-Akner zeigt auf, wie die totgeschwiegene Entführung zunächst unmerkliche Spuren und Narben hinterlässt, die im weiteren Verlauf der Geschichte und damit im Leben der Familie aufzubrechen drohen und die Familienmitglieder, ganz unterschiedlich, noch Jahrzehnte später belasten. Dabei beweist sie ein Gespür für die feinen Unterschiede in Charakter, Lebensweg und individueller Betroffenheit aus der Entführung und zeigt so eine Varianz im Umgang und Erleben familialer Traumata auf. Bereits früh im Roman wird deutlich, dass all der Reichtum der Familie, Glück und Zufriedenheit nicht garantieren kann. Der Umgang mit Traumata in der Familie zeigt wiederum eine Kontinuität, die immer wieder mit Verweisen zum Holocaust und der Flucht der Großeltern nach Amerika hergestellt wird.

Im extremen Gegensatz zu den schweren Themen der Geschichte steht der Stil und Ton Brodesser-Akners. Die Autorin spielt freigiebig mit Klischees und Stereotypen über jüdisch-amerikanisches Leben und jüdische Traditionen, wie auch Neurosen und ganz besonders die Spleens der Upperclass. Komisch und scharfsinnig seziert sie in sarkastischem Ton das verschwenderische Leben der Reichen und Schönen von Beauty-OPs, die die Patientinnen zuweilen näher an Amphibien als an Beauty bringen bis hin zum Umgang mit Hausangestellten.

So sehr mich dieser Stil und Ton phasenweise unterhalten haben, fehlte mir dadurch jedoch zuweilen die Tiefe und Ernsthaftigkeit in der Erzählung. Insgesamt lässt mich der Roman etwas zwiegespalten zurück. Eine scharfsinnige Gesellschaftsanalyse und humorvolle, zuweilen bitterböse Erzählweise stehen Abzügen in der Tiefe gegenüber. Letztlich ist und bleibt der Roman wirklich sehr gute Unterhaltung - nicht mehr und nicht weniger!