Puh – was für ein Brocken!

Voller Stern Voller Stern Leerer Stern Leerer Stern Leerer Stern
lesefin__ Avatar

Von

Taffy Brodesser-Akner: Die Fletchers von Long Island
 
Übersetzung: Sophie Zeitz
 
Puh – was für ein Brocken! Ein großes Familienepos über eine wohlhabende jüdisch-amerikanische Familie, über mehrere Generationen hinweg erzählt, voller Traumata, Neurosen und leider auch voller Seiten.
Ein Buch, das viel will: große Gefühle, psychologische Tiefe, Gesellschaftskritik, Humor. Und das alles gleichzeitig. Das Ergebnis? Nun ja, ambitioniert, aber oft auch einfach zu viel.
 
Zur Story: Im Mittelpunkt steht die Familie Fletcher. Als der Vater entführt wird, gerät alles aus dem Gleichgewicht und die Familie taumelt in ein jahrzehntelanges Trauma deluxe. Was folgt, ist das komplette Repertoire an dysfunktionaler Familienliteratur, aber auf sehr, sehr vielen Seiten.
Die drei Geschwister, die kaum unterschiedlicher sein könnten, kämpfen als Erwachsene mit ihren ganz eigenen Dämonen: Beamer, der Älteste, ist drogenabhängig und verliert sich in verstörenden sexuellen Fantasien (nicht unbedingt die Figur, mit der man zu viel Zeit verbringen will, leider passiert genau das in dem Buch), der mittlere Bruder lebt mit den verschiedensten Ängsten und lebt offenbar in einer Beziehung mit seinen zahlreichen Versicherungen und die Jüngste schämt sich für ihr privilegiertes Leben.
 
Zwischendurch gibt’s dann noch einen finanziellen Super-GAU (oh Schreck, das Vermögen wackelt!) und plötzlich wird’s für die Fletchers ernst. Wie lebt man weiter, wenn man sich nicht mehr auf den goldenen Thron setzen kann? Was passiert mit Menschen, die ihr Leben lang im Überfluss gelebt haben und nun mit dem Verlust zurechtkommen müssen?
 
Besonders schwer zu ertragen, fand ich Beamers Perspektive. Seite um Seite suhlt er sich in seinen Abgründen: Drogen, Sex, Selbstmitleid. Ein endloser Strudel ohne echten Ausweg und beim zehnten Mal nicht besser zu ertragen als beim ersten. Ich musste das Buch mehrmals weglegen, nicht aus Spannung, sondern weil ich irgendwann einfach keine Lust mehr auf sein Gedankenkarussell hatte. Das Ganze hätte gut und gerne um 200 Seiten kürzer sein dürfen.
Und trotzdem: Ganz abgebrochen habe ich es nicht.




Denn dazwischen blitzt tatsächlich immer wieder Witz auf. Die Erzählerin ist schlau, bissig, spricht uns Leser*innen direkt an (immerhin jemand, der weiß, dass wir noch da sind) und das hat mir gefallen. Auch das Nachwort, das andeutet, dass manches autobiografisch inspiriert ist, war noch ein kleiner Bonus zum Schluss.
 
Ein Roman mit guten Ansätzen, starken Figuren und einem gewissen Witz, der sich aber leider selbst im Weg steht. Zu viel, zu lang, zu ausschweifend. Weniger Beamer, mehr Fokus, und ich hätte deutlich mehr Freude daran gehabt. Wer lange, ausschweifende Erzählungen mit psychologischer Tiefe und satirischem Unterton mag, könnte hier fündig werden… Für mich war es streckenweise zu viel des Guten.