Eine wilde Jagd um die Welt - kinderbuchlastiger als das Original

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romanfresser Avatar

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Die Artemis-Fowl Reihe war eigentlich mit dem achten Band abgeschlossen. Das magische Tor ist verschlossen, Artemis (Klon) am Leben und zwischen ihm und der Unterwelt ist alles in bester Ordnung. Das geschah vor sieben Jahren. Im August 2012 habe ich den letzten Band rezensiert und seitdem geschah in der Fowl-Welt außer einem ständig verschobenen, inzwischen aber scheinbar wirklich fertig gedrehten Film sehr wenig. Bis in den letzten Wochen des vergangenen Jahres ein neuer Band erschien. Myles und Beckett Fowl, Artemis‘ Zwillinge sollten die Hauptfiguren sein, wie der Titel schon verriet. Ihr könnt euch vorstellen, wie gespannt ich darauf war in diese Serie, die mich durch meine Kindheit und Jugend begleitet hat, erneut einzutauchen – zumal die Protagonisten mit ihren elf Jahren in einem ähnlichen Alter sind wie Artemis im ersten Band.

Myles und Beckett Fowl leben ziemlich glücklich in einer neuen Version von Fowl Manor, Artemis ist im Weltraum unterwegs und die beiden werden von einer künstlichen Intelligenz namens NANNY betreut. Myles ist ein Genie und steht seinem großen Bruder in nichts nach, Beckett ist eher das Gegenteil davon, körperlich ziemlich kräftig, aber – so wird er am Anfang dargestellt – nichts in der Birne. Dann passieren zwei Sachen: Ein Tröllchen buddelt sich an die Oberfläche und lernt Beckett kennen und ein verrückter Methusalem will diesen Troll haben, um unsterblich zu werden. Eine Unterirdische auf einer Trainingsmission bekommt das mit und eine geheime Organisation will auch noch mitspielen. Und so ist das Setting für eine wilde Jagd der beiden Zwillinge mit den Unterirdischen gegen die oberirdischen Feinde gelegt.

Ich habe direkt im Anschluss an dieses Buch wieder Lust auf Artemis bekommen und nochmal den ersten Band der Reihe herausgekramt und erneut gelesen. Ich war nämlich mit einigen Aspekten dieses Buches nicht so ganz glücklich und wollte herausfinden, ob das in der Originalreihe auch der Fall war. Vergleichbar sind die Bücher durch das ähnliche Alter ihrer Protagonisten allemal.

Zum einen ist der Band um die Fowl-Zwillinge deutlich actionreicher und schneller. Während der erste Band sich Zeit lässt, um Welten zu erklären und längere Spannungsbögen aufzubauen und im Wesentlichen nur in Fowl Manor spielt, passieren hier Schlag auf Schlag Ereignisse und die Zwillinge jagen um die halbe Welt. Das kann man kritisieren, hat mich aber nicht gestört – wobei etwas längere Spannungsbögen als ein paar Seiten durchaus ihren Reiz haben. Es ist aber nur ein Teilaspekt dessen, was mich an diesem Spin-Off am meisten stört: Es ist zu sehr ein Kinderbuch.

Ich lese gerne ‚junge‘ Literatur, auf meinem Blog habe ich schon zahlreiche Kinder- und Jugendbücher besprochen und viele Titel kann man auch als Erwachsener noch mit Genuss und Gewinn lesen. Die Artemis-Fowl Reihe wächst ein bisschen mit dem Leser mit, nicht so stark wie die Harry-Potter Reihe, aber dennoch spürbar. Aber – und deshalb wollte ich gerne nochmal diesen ersten Band lesen – auch den ersten Band kann ich mit viel Spaß lesen und merke nur an wenigen Stellen, dass ich eigentlich ein Kinderbuch vor mir habe.

Hier fällt das auf. Das liegt zum einen an Beckett, eine Figur, die bis kurz vor dem Ende des Buches so schrecklich überzeichnet ist, dass er teilweise wirklich nervt und sich erst am Ende zu entwickeln beginnt. Aber auch Myles ist in seiner Genialität ins Absurde überzeichnet, viel extremer als das damals bei Artemis der Fall war. Zum anderen liegt das an den häufigen Erzählerinterventionen. Der Erzähler mischt sich in die Handlung ein und erzählt etwas darüber, offenbar zum besseren Verständnis, was aber überhaupt nicht nötig ist und auch keinen Sinn ergibt. Im ersten Band gibt es diese Interventionen auch, sie sind aber sehr dezent eingesetzt und ergeben Sinn, da die Erzählung in eine Berichtsfiktion eingebunden ist. Hier sind die Interventionen sehr dominant und geben dem ganzen einen „So liebe Kinder, ich erzähle euch jetzt mal was“-Charme. Hätte man das weggelassen, damit auch die Distanz des Lesers zum Erzählten reduziert, hätte man das Buch vielleicht erst ab 10 Jahren empfohlen, aber mir hätte es besser gefallen.

Die Geschichte, um die es geht, ist nämlich gar nicht verkehrt. Die Fowls sind inzwischen keine Verbrecher mehr, auch wenn sie mit vergleichbaren Methoden agieren. Sie sind mit der Unterwelt zusammen auf der Seite der Guten und schaffen es als Team ziemlich gut, gegen Bedrohungen zu bestehen. Auch spannend zu beobachten ist, wie im Vergleich zu den ersten Büchern moderne Technik Einzug gehalten hat. War der erste Band der Realität technisch einige Jahre voraus, ist das auch bei diesem Band wieder der Fall – man merkt Colfer hier durchaus eine Affinität für moderne Technik – in diesem Band vor allem künstliche Intelligenzen – an.

Ich habe eine Schwäche für Eoin Colfer. Nicht umsonst habe ich einen Großteil seiner Bücher gelesen und nicht umsonst zählen die Geschichten um Artemis zu meinen Lieblingsbüchern. Vielleicht war deshalb die Fallhöhe für mich auch so hoch, vielleicht ist dieser für mich erzwungen kinderfreundlich wirkende Stil inzwischen einfach der Standard – so viele Kinderbücher lese ich in den letzten Jahren nicht. Aber weil die Geschichte gelungen ist und weil ich einfach hoffe, dass die Charaktere durch dieses Ereignis an Tiefe gewonnen haben und in den nächsten Bänden etwas differenzierter sind, bekommt „Die Fowl-Zwillinge und der geheimnisvolle Jäger“ von mir doch 4/5 Sternen. Und wehe, lieber Eoin, du schreibst jetzt nicht an neuen Geschichten! Wir brauchen mehr Fowl!