Historisch, dramatisch, bösartig!

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elmidi Avatar

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„Der Abhang, der Richtung Wahnsinn führt, hat die paradoxe Eigenart, zugleich steil und dennoch nicht wahrnehmbar für diejenige Person zu sein, die hinunterrutscht.“ Am Ende des Buches ist dies die Feststellung von Rose, der Frau an der Schreibmaschine – und sie hat allen Grund von Wahnsinn, vom Abrutschen und von Blindheit zu sprechen.

Dabei fängt alles so harmlos an. Rose arbeitet als Stenotypistin in einem Polizeirevier. Als alleinstehende unverheiratete Frau ist sie froh über diesen Job und auch froh, sich ein Zimmer leisten zu können – eins, dass sie mit einer Mitbewohnerin teilen muss, damit sie es bezahlen kann. Ihr Leben wendet sich, als Odalie, eine charismatische, glamouröse Frau, ihre Kollegin wird. Von Anfang an ist Rose fasziniert, verkörpert Odalie doch alles, was sie nicht ist und alles, was ihren von Nonnen anerzogenen Moralvorstellungen entgegensteht. Und wie es scheint, verlangt es Odalie ausgerechnet nach ihrer Freundschaft. Roses Einsamkeit scheint ein Ende zu haben, hat sie doch endlich eine „Busenfreundin“, eine Frauenfreundschaft mit allem viktorianischem Tamdam, Händchenhalten, Flüstern und tiefe Vertrautheit. Aber – wer ist Odalie eigentlich? Wo kommt sie her, was denkt und fühlt sie wirklich? Diese Fragen werden für Rose im Laufe des Buches immer mehr zur Existenzfrage ….

Für mich ist dieses Buch in diesem Jahr das absolute Lesehighlight. Allein sprachlich ist es ein Genuss, diese etwas angestaubten Worte und Satzgebilde zu lesen, in denen Rose all ihre Gedanken und Gefühle ausdrückt. Die Geschichte wird uns nämlich von Rose direkt erzählt, wir tappen in die gleichen Fallen, verstehen ihre Handlungen und sind im nu zurückversetzt in die Rolle einer Frau in den 20iger Jahren – einer Rolle zwischen den uralten Vorstellungen des viktorianischen Zeitalters und denen der Moderne.

Aber auch die Geschichte selbst hat es in sich. Was anfängt wie ein historischer Roman, in dem uns akribisch genau die Personen im Polizeirevier und ihre Aufgaben beschrieben werden, wird immer mehr zu einem Beziehungsdrama und schließlich kann man die Geschichte am Ende mit Fug und Recht bösartig nennen.

Von mir begeisterte 6 Sterne!