The Roaring Twenties

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miss marple 64 Avatar

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Gut,dass Danksagungen der Autoren erst am Ende des Buches stehen und auch erst dann gelesen werden sollten! Hier spricht die Autorin von ihrer ersten großenTeenager-Liebe- Fitzgeralds "Der große Gatsby". So habe auch ich ihre Zeilen erst am Ende entdeckt,nicht ohne bereits vorher beim Lesen das Gefühl gehabt zu haben, dass der große amerikanische Autor hier als Vorbild galt.
Die Autorin nimmt ihre Leser mit auf eine literarische Zeitreise in die 20er Jahre des letzten Jahrhunderts nach New York, in der Erwartung auf alles zu stoßen,was man bisher darüber gehört und gelesen hat: Charlston,Jazz,Prohibition,Kriminalität,Hochstapler,"vorgetäuschte jungfräuliche Jugend"(S.336).
Wir treffen auf Rose,eine junge Frau, die als Stenotypistin in einem New Yorker Polizeirevier arbeitet,die aus armen Verhältnisse stammt,in einem von Nonnen geführten Kinderheim aufwuchs und die Chance auf eine Ausbildung erhielt und nun die Geständnisse der Verbrecher protokolliert. Ihr Leben ist unspektakulär, bis eines Tages Odalie im Department erscheint und die Stelle einer neuen Stenotypistin antritt. Vom ersten Moment an sind alle von ihr fasziniert,auch Rose,deren Leben sich von hieran verändert.
Ich möchte hier inhaltlich nicht vorgreifen, sonst wäre das Ungeheuerliche dieser Geschichte verraten. Jeder Leser sollte sich von Seite zu Seite treiben lassen und sich von den Geschehnissen in den Bann ziehen lassen.Nur soviel sei erwähnt,dass die beiden Frauen Freundinnen werden, doch sollte während des Lesens in ihrem Fall der Begriff Freundschaft neu definiert werden.
Odalie gelingt es Rose nach und nach für sich einzunehmen und Rose verlässt einen bisher zwar langweiligen, aber sicheren Lebensweg.
Da die Geschichte als Rückblick von Rose erzählt wird- als ihr das volle Ausmaß ihrer Begegnung mit Odalie bewusst wird- erfährt auch der Leser zwischendurch,dass ihr wohlbewusst ist,dass sie bewohnte Wege verlassen hat, sie aber aus Liebe und Loyalität an Odalie festhält.
Beide Figuren sind in ihren Charakteren wunderbar gezeichnet und spiegeln die gesellschaftliche Entwicklung zu jener Zeit wider- hier wird auch für den Leser der Einfluss großer amerikanischer Erzählkunst erkennbar.Es wird ein Sittengemälde gezeichnet,das den Drang der jungen Leute nach dem 1.Weltkrieg in eine moderne Zeit verdeutlicht, aber auch das Festhalten an alten Werten. Gut zu erkennen an äußeren Dingen, wie neuen kurzen Frisuren, kurzen Kleidern oder freizügigeren Badeanzügen.(Rose erinnert sich an ihr Schwimmtraining im "Ganzkörperbadeanzug" ,als sie mit Odalie einen Ausflug ans Meer mit neu gekauften, modischen Badeanzügen macht).
Der Autorin gelingt ein Blick auf jene Zeit mit ausschweifenden Partys der Reichen,Alkoholverbot,sogenannte Flüsterkneipen,Polizeirazzien, aber auch auf Oberflächlichkeit,Verrat und Intrige.
Das Eintauchen in diese Zeit wird unterstützt durch eine Sprache,die einen von der ersten Seite gefangen nimmt. Sie wird gekennzeichnet durch die tiefe Beobachtungsgabe der Protagonistin,die detailliert ihre Umwelt,die Menschen und ihr Handeln beschreibt.Eine Fülle von Adjektiven schmücken das Beobachtete aus.Durch ihren Schreibstil gelingt es der Autorin, beim Leser ein buntes, aber auch düsteres "Kopfkino" zu erzeugen.So führt Rose während des Erzählens ihrer Geschichte den Leser auf leise Art zur Katastrophe,die ja ihre eigene ist.Hier möchte man ihr zurufen:"Bleib stehen!"-aber wohl wissend,dass wir nichts machen können,lesen wir gespannt bis zum Ende!
So enthält der Roman auch Elemente eines Thrillers, aber nur sehr bedächtig. Im Vordergrund steht zu zeigen, wie falsche Freundschaft,Manipulation und falsch verstandene Loyalität das Leben eines Menschen verändern kann.
Das Buch sei jedem empfohlen, der sich für die beschriebene Zeit interessiert, der aber auch gern ein Buch jenseits des "literarischen Mainstream" lesen möchte- denn da gehört "Die Frau an der Schreibmaschine" nicht hin.