Unerwartet böse

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fraupfeffertopf Avatar

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Meine ursprünglichen im Leseeindruck aufgezeigten Vermutungen, muss ich revidieren. So "einfach" hat es sich mit der Auflösung des Geheimnisses um Odalie dann doch nicht herausgestellt...
Wer Bücher mag, die den Leser im Unklaren über das Ende lassen, sollte hier nicht weiterlesen - es folgt zunächst ein SPOILER. Etwas anders als üblich, ist meine nachfolgende Rezension sehr interpretationslastig, denn noch Tage danach kreisen meine Gedanken um das Ende, weshalb ich diese einfach niederschreiben muss. Das Buch ist absolut empfehlenswert und spannend.

SPOILER
Das Ende bietet viel Spekulationsraum und erinnert mich an Filme wie Black Swan, Shutter Island oder Bücher wie Gone Girl. Der Leser (oder Zuschauer) stellt während der ablaufenden Handlung Annahmen auf und muss diese am Ende erneut über Bord werfen - Mindfu** eben.
1. Theorie - Ginerva, die Identitätenklauerin: Ich könnte mir vorstellen, dass der Ursprung bei Ginerva liegt, die, um der Mordlast zu entkommen, "Odalie" erfand. Ihre Identität als Odalie gerät ins Wanken durch das Auftauchen Teddys, sodass sie eine neue Identität benötigt - und damit ändert sich Roses Schicksal. Odalie bzw. Ginerva schiebt den Mord an Teddy Rose in die Schuhe und schafft sich eine neue bereits zweite Identität. Die wahrhaftige Rose ist gelackmeiert und sitzt in der Anstalt. Die Brosche, die ihr der Detective im Namen von Odalie überreichen soll, ist eine Botschaft: Um der psychiatrischen Einrichtung entkommen zu können, darf sie (die wahre Rose) sich nicht länger als unschuldiges Opfer darstellen und muss zur "verrückten Odalie" werden, die im Glauben aller den Mord begangen hat. Der Haarschnitt mit dem Messer des Detectives vollendet die Verwandlung. Die böse Ginerva/Odalie hat systematisch dafür gesorgt, dass sich der Spieß umdreht und lebt fortan als Rose weiter.

2. Theorie - Eine dissoziative bzw. multiple Identitätsstörung: Odalie ist glamourös, modern, extrovertiert, hat Selbstvertrauen, Erfahrungen mit Männern, ist reich und steht für die freudige Seite des Lebens. Für Roses Charakterbeschreibung lassen sich einfach die sprachlichen Oppositionen einsetzen. Odalie war und ist keine existierende Person, sondern hat sich lediglich in Roses Kopf manifestiert. Dafür würde sprechen, dass Odalie immer nur in Gegenwart von Rose einen Auftritt hatte. Die Realität der erkrankten Personen ist nicht verzerrt, sie erleben alles real aus der Sicht verschiedener Persönlichkeiten. Auch wissen die Personen oft nicht, was die anderen Anteile getan haben, sodass der Mord an Teddy Rose (die böse Odalie) nicht bewusst sein muss. Die "dunkle" Seite Odalies scheint die Oberhand zu gewinnen als sich Rose die Haare zu einem Bob schneidet. Das Klinikpersonal nennt sie zudem "Ginerva", ein Indiz für diese Theorie? Trotz dass die Subpersönlichkeiten voneinander wissen können, spricht gegen diese Theorie, dass immer nur eine Subpersönlichkeit zur Zeit dominierend ist und mit der Umwelt in Kontakt tritt. Rose und Odalie waren jedoch u.a. zusammen mit anderen Personen feiern und zusammen am Meer - vielleicht waren diese aber auch nicht existent.

3. Theorie - Roses Obsession geht ein wenig zu weit: Odalie und Rose sind weiterhin zwei verschiedene Personen, wobei Rose Odalie offenkundig liebt. Rose giert nach Gesellschaft, möchte Odalies ungeteilte Aufmerksamkeit und ihre Verehrung geht soweit, dass sie entweder die Schuld an Teddys Tod auf sich nahm oder ihn selbst tötete. Rose ist eine versierte Stenotypistin und wüsste durch zahlreiche Geständnisse wie man einen Mord begeht. Diese krankhafte Besessenheit von einer Person kennzeichnet die schrittweise Annäherung an die Identität dieser und den Verlust der eigenen. Mit Odalies Haarschnitt entledigt sich Rose ihrer eigenen Person und sie verschmelzen symbolisch gesprochen zu einer Person. Dagegen spricht die Frage, wie Rose an zwei Orten zugleich hätte sein können - Zigaretten holen und auf dem Balkon sein!? So würde es letztendlich erneut auf die dissoziative Identitätsstörung hinauslaufen. Dabei würde mir die erste Theorie am Besten gefallen. Es wäre mal etwas anderes.


SPOILER ENDE
Fragen über Fragen, die wohl ungeklärt bleiben.
Für ein Debüt-Roman bin ich positiv überrascht. Ohne Bedenken würde ich auch bei einem zweiten Buch der Autorin zugreifen. Die Autorin hat Sorge getragen, dass man nicht nur in der passiven Leserrolle bleibt, sondern sich sein eigenes Gedankengerüst aufbaut. Die Sprache, die Charaktere und der beschriebene Zeitgeist sind vortrefflich gewählt und ziehen den Leser in diese trügerisch glamouröse Welt, die mehr Schein als Sein ist. Nun habe ich gelesen, dass das Buch sogar verfilmt werden soll. Ich bin gespannt, ob der Film mehr Aufschlüsse über das Ende verrät. Bis dahin muss ich weiter rätseln.