Politik, Macht und Freundschaft

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wortteufel Avatar

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Mit Die Frau der Stunde gelingt Heike Specht ein klug komponierter Roman, der zwischen Politik, persönlicher Verstrickung und weiblicher Solidarität eine ungemein lebendige Bühne entfaltet. Schon in den ersten Szenen spürt man die besondere Atmosphäre: Bars voller Glanz und Intrigen, nächtliche Autofahrten mit Dalida im Radio, Freundinnen, die sich zwischen Zigarettenrauch und Schlagzeilen gegenseitig stützen und herausfordern.

Besonders faszinierend finde ich, wie Specht es schafft, das große politische Panorama der späten 70er Jahre mit dem sehr persönlichen Blick einer Frau zu verweben, die mitten in diesem Machtgefüge ihren Platz sucht. Catharina Cornelius ist dabei keine Heldin im klassischen Sinne, sondern eine Frau voller Widersprüche – ehrgeizig, verletzlich, leidenschaftlich und zugleich verstrickt in Abhängigkeiten, die sie in Zugzwang bringen.

Das Setting zwischen Bonn und Brüssel wirkt detailreich und atmosphärisch dicht. Man taucht sofort ein in eine Zeit, in der Politik noch ein stärker männlich dominiertes Feld war und Frauen sich ihren Raum mühsam erkämpfen mussten. Die Dialoge zwischen Catharina, Suzanne und Azadeh sind pointiert und zeigen, wie sehr Freundschaft und weibliche Schlagfertigkeit zum Überleben in diesem Umfeld beitragen.

Für mich ist Die Frau der Stunde weniger ein klassischer Politthriller als vielmehr ein feinsinniges Sittenbild dieser Ära – temporeich erzählt, mit genau dem richtigen Maß an Drama, ohne die Figuren zu überzeichnen. Ein Roman über Macht, Moral, Freundschaft und das Ringen um Selbstbestimmung.

Ein Buch für alle, die historische Stoffe lieben, aber mehr wollen als ein simples Zeitkolorit – nämlich lebendige Figuren, die mitten im Wandel stehen.