Ein Blick in die Bonner Republik

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martinabade Avatar

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Nach der Leseprobe hatte ich die Hoffnung, ich bekäme so etwas wie die Romane von Brigitte Glaser „Rheinblick“, „Kaiserstuhl“ oder „Bühlerhöhe“. Die habe ich geliebt und geradezu verschlungen. Mit „Die Frau der Stunde“ habe ich gelernt, wie sehr sich Bücher, deren große Themen gleich oder ähnlich sind, dann im Endeffekt unterscheiden. Nicht in „gut“ und „weniger gut“ sondern in „anders“.

„Die Frau der Stunde“ spielt in den späten 1970er Jahren in Bonn, in der Bundesrepublik Deutschland. Die Protagonistin ist Catharina Cornelius, eine liberale Politikerin, die sich nicht an die gesellschaftlichen und politischen Konventionen der Zeit anpassen will. Sie hat einen Kreis von Freundinnen, mit denen sie genüsslich die Regeln bricht, sie raucht, trinkt Gin Tonic, setzt auf Freundschaften (Seilschaften?) und kämpft sich gegen männliche Dominanz in Politik und Öffentlichkeit durch. Unerwartet wird sie Außenministerin und Vizekanzlerin.

Und es war etwas los auf der Welt in dieser Zeit. Durch die Frauenrechtsbewegung, Machtverhältnisse und große weltpolitische Ereignisse wie etwa die Islamische Revolution im Iran – wird ihr deutlich, dass Macht und Sichtbarkeit ihren Preis haben.

Die historische Situation wirkt lebendig und stimmig, gut recherchiert so weit ich das beurteilen kann. Bonn, die alten politischen Strukturen, die gesellschaftlichen Erwartungen, die Intrige, das Patriarchat, die Genderrollen. Gerade diese sind sehr gut und manchmal aus unserer heutigen Sicht auch bitter-süß und lustig in Szene gesetzt. Jeder und jede, wirklich jeder und jede in diesem Buch raucht und trinkt Alkohol. Im Büro, bei Beratungen …. Undenkbar heute und umso bemerkenswerter.

Und obwohl Themen wie „Feminismus“ etc. gar nicht meine sind, wird mir beim Lesen vom Kopf, aber auch vom Bauch her, nochmal deutlich, was sich in den letzten 50 Jahren in unserem Leben zum Thema „Frauenrechte“ weiterentwickelt hat. Im Buch sind die Damen in der Regel die Schmuckstücke der Herren, Anhängsel und „Damenprogramm“ eben.

Auf diesem Motivteppich verstehen wir die Frauenpowerausnahmen und Catharina besser, und gleichzeitig empfinde ich die Figuren manchmal als etwas drüber. Sie werden zu ihren eigenen Abziehbildern. Da zieht die Autorin gerade noch rechtzeitig die Notbremse. Vielleicht werde ich auch noch eines ihrer vielen anderen Bücher, dazu regt die „Frau der Stunde“ wirklich an.