Feministische Fiktion vor realem zeitgeschichtlichem Hintergrund

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Dr. Catharina Cornelius hat den nächsten Schritt in ihrer politischen Karriere in greifbarer Nähe: Sie soll die erste weibliche Außenministerin und Vizekanzlerin der noch jungen BRD werden. Das verspricht, die Riegen der anzugtragenden Herren im Bundestag ordentlich durcheinander zu wirbeln. Doch auch ihre Freundinnen Suzanne und Azadeh sind Pionierinnen ihrer Zeit: Suzanne lebt ein etwas ungewöhnliches Familienkonzept, in dem sie nicht die klassische Mutterrolle einnimmt, und Azadeh ist als kreativer Freigeist hautnah an der Iranischen Revolution beteiligt.

Heike Specht zeichnet hier anhand dreier starker Frauenfiguren die politische Lage der BRD und Weltpolitik in den 70er Jahren nach. Zwar sind die drei Frauen fiktive Figuren, doch sind sowohl ihre als auch die Biografien anderer Handelnder eng angelehnt an echte Persönlichkeiten oder zumindest an historische Folien und Gegebenheiten. Das Buch ruft der Leserin damit eine Zeit in Erinnerung, in der Bonn die Hauptstadt war, der Kalte Krieg herrschte und Männer, noch mehr als heute, die Welt bestimmten.

Catharina ist in dem Ganzen natürlich die Protagonistin und interessanteste Figur. Sehr reflektiert zeigt die Autorin hier, was Frauen alles beachten mussten, wenn sie politische Karriere machen wollten. Welchen Kommentaren und Blicken sie ausgesetzt waren. Welche Verrenkungen sie anstellen mussten, um auch nur in die Nähe der Machtsphären ihrer männlichen Kollegen zu gelangen. Und wie ihnen das wiederum negativ ausgelegt wurde (und auch heute wird). Specht offenbart, wie sehr gerade in der Politik mit zweierlei Maß gemessen wird, was Frauen und Männer anbelangt. Catharina ist trotzdem keine bloße Schablone, auf deren Rücken alibimäßig diese Zeitgeschichte erzählt wird, im Gegenteil hatte ich eher den Eindruck, die Story entspringt eben aus Catharinas Figur. Sie ist nahbar, authentisch, menschlich.

Die zweite Frau im Bunde ist Azadeh, eine iranische Dokumentarfilmerin, die Catharina aus Internatszeiten in der Schweiz kennt. Azadeh ist notorisch flüchtig, schwer zu greifen, mit einem starken Willen und einer tragenden Stimme ausgestattet. Als sich im Iran abzeichnet, dass der Schah abdanken wird, verliert sie keine Zeit und reist hin, um bei der Revolution dabei zu sein. Natürlich wissen heutige Leserinnen, wie diese Revolution ausgegangen ist und was das bis heute für die Menschen- und insbesondere Frauenrechte im Iran bedeutet. Aber aus Azadehs Perspektive besteht Hoffnung, sie zeigt ein Volk, das bereit ist, für eine neue Welt zu kämpfen. Man ist hautnah dran, mitten in Teheran, sehr interessant und spannend zu lesen, und eine perfekte Ergänzung zu Catharinas distanzierter politischer Perspektive als Außenministerin.

Suzanne ist die belgische Freundin der beiden, die als Journalistin bei einer Frauenzeitschrift arbeitet. Sie ist definitiv die blasseste der drei Figuren, führt ein recht beschauliches Familienleben, aber dennoch zeichnen sich auch bei ihr feministische Themen ab: Sie ist als Mutter wesentlich weniger präsent als ihr Ehemann und Vater der Kinder, Sven, und dafür macht sie sich streckenweise große Vorwürfe. Sie hat den dynamischen Job, der viel fordert, während Sven als Lehrer eher im Vorhersehbaren bleibt. Sehr viel mehr gibt ihre Perspektive allerdings nicht her, da die Seite des Journalismus und wie er an Politik beteiligt ist, eher durch Catharinas geheimen Liebhaber Gregor abgedeckt wird.

Insgesamt habe ich das Buch sehr gerne gelesen, es ist eine interessante Kombination aus Fiktion und historischer Realität, eine feministische Abhandlung vor realem Hintergrund und mit sehr hohem Identifikationspotenzial, da es rein im Konkreten bleibt und keine Abstraktion stattfindet. Der Erzählstil ist daher auch ziemlich am Unterhaltsamen orientiert, arbeitet mit Perspektivwechseln (dabei immer in der dritten Person geschrieben, was manchmal verwirrend ist, weil auch mitten im Text zwischen Figuren gewechselt wird), und viele Szenen starten mit einer sehr konkreten Situation, aus der heraus der Leserin dann knapp Zurückliegendes erzählt und vermittelt wird. Warum nicht eine chronologischere und stringentere Erzählweise gewählt wurde, erschließt sich mir nicht ganz. So wirkte der Roman manchmal etwas episodisch und vereinzelt. Aber dennoch – ein schöner Unterhaltungsroman mit politisch, historisch und gesellschaftlich relevanten Themen.