Frauenpower

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Von der Historikerin Heike Specht stammt das Buch „Die Ersten ihrer Art. Frauen verändern die Welt“ Hierin porträtiert sie bekannte Frauen, die sich einen Platz in einer männerdominierten Welt erobert haben. Unter anderem Frauen wie Margaret Thatcher, Angela Merkel und Kamela Harris, die als erste britische Premierministerin, als erste deutsche Bundeskanzlerin und als erste US- Vizepräsidentin in die Geschichtsbücher Eingang gefunden haben. Die Recherchearbeit und die Interviews zu dem Buch dürften Auslöser gewesen sein für ihren ersten Roman.
Hierin wagt sie ein interessantes Gedankenspiel: Was wäre gewesen, wenn in Deutschland schon viel früher eine Frau eine herausragende Rolle in der Politik gespielt hätte? Wie wären die Parteifreunde, die Opposition, die Presse und die Bevölkerung mit der Situation umgegangen?
Der Roman spielt Ende der 1970er Jahre. Der liberale Außenminister stolpert über eine Affäre und muss deshalb zurücktreten. Seine Parteikollegin Catherina Cornelius soll seinen Job als Außenminister und Vizekanzler übernehmen und damit die Regierungskoalition retten. Catharina steht vor einer schwierigen Entscheidung. Ist ihre Partei und ist das Land schon reif für eine Frau in dieser Position? Sie nimmt die Herausforderung an, obwohl das Risiko zu scheitern groß ist. Schonfrist wird ihr keine gegönnt. Mit Argwohn wird jeder ihrer Schritte beobachtet und kommentiert. Aber Catharina ist klug und weiß mit Selbstbewusstsein, Kompetenz und Charme zu überzeugen. Schwäche darf sie keine zeigen, denn im Hintergrund werden schon Intrigen gegen sie geschmiedet.
Doch Catharina hat Verbündete, die sie unterstützen und ihr mit Rat zur Seite stehen. Da sind zum einen ihre beiden Freundinnen aus Internatstagen Suzanne und Azadeh, auf die sie sich immer verlassen kann. Aber auch ihre politische Mentorin Hilde von Rochow, die Grande Dame der Partei, lässt sie nicht im Stich. Es ist eine ganze Riege von starken Frauen, die Heike Specht hier auftreten lässt. Zu den schon genannten kommen noch die resolute Büroleiterin Sieglinde und die zurückhaltende junge Referentin Juliane hinzu. Catharina ist keine Einzelkämpferin, sondern kann auf ein ganzes Netzwerk zurückgreifen.
Das ist auch notwendig, denn die Altherren-Riege, aus der sich die Politik-Elite jener Zeit zusammensetzt, tut sich schwer mit einer Frau an der Spitze. Gerne wird sie unterschätzt. Doch mit Catharina und ihrer Frauenclique zeigt die Autorin, dass nun eine neue Frauengeneration herangewachsen ist. Eine, die unabhängig und zielstrebig ihren Weg geht.
Catharinas Privatleben spielt im Roman eine zweitrangige Rolle und das ist gut so . Der Lesende erfährt zwar manche Details aus ihrem Leben, vieles im Hinblick auf ihre neue Aufgabe, aber das Hauptaugenmerk liegt auf ihrer politischen Arbeit.
Dabei bietet Heike Specht einen glaubwürdigen Einblick in den Bonner Politikbetrieb. Reale Ereignisse, die in die fiktive Handlung eingebaut werden, verstärken diesen Eindruck. Wer wie ich diese Zeit noch miterlebt hat, dem kommt vieles bekannt vor. Es macht auch Spaß zu rätseln, wer mit manchen der fiktiven Figuren gemeint sein könnte. Helmut Kohl, Franz Josef Strauß und Petra Kelly sind leicht zu erkennen. Aber die Autorin hat keinen Schlüsselroman geschrieben; die meisten Protagonisten sind wohl ein Konglomerat aus den unterschiedlichsten Personen.
Ein zweiter Schauplatz im Roman ist der Iran, in dem sich zu diesem Zeitpunkt gewaltige Veränderungen ankündigen. Unruhen erschüttern das Land und führen zum Sturz des Schahs. Catharinas Freundin Azadeh, eine engagierte Dokumentarfilmerin, reist in ihre frühere Heimat, um hautnah dabei zu sein. Doch die Lage dort wird gefährlich für Frauen. Und Catharina muss als Außenministerin Position beziehen.
Das alles macht aus „Die Frau der Stunde“ einen äußerst realistischen zeitgeschichtlichen Roman, trotz der fiktiven Prämisse. Vieles lässt sich auch auf die Gegenwart übertragen. Machtspiele und Konkurrenzgerangel findet man auch heute im politischen Betrieb. Und viele der internationalen Probleme sind leider immer noch aktuell. Auch die Aussage über die Deutschen trifft nach wie vor zu: „Die Deutschen waren ein scheues Reh, man musste ihnen lange gut zureden, wenn man ihnen irgendeine Veränderung präsentieren wollte. Eine unbedachte Bewegung, ein lautes Geräusch, und sie verschwanden wieder im undurchdringlichen Dickicht der bösen Ahnungen, alten Ängste und Furcht einflößenden Zukunftsszenarien.“
Zwar sind Frauen heutzutage in einer Führungsposition keine Ausnahme mehr, aber auch nicht die Regel.
Das Ende schreit geradezu nach einer Fortsetzung und ich wäre wieder mit dabei.