In der Politik braucht man Freunde, aber keine Parteifreunde!

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jackolino Avatar

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Heike Specht hat mit „Die Frau der Stunde“ ihren ersten Roman geschrieben, sie ist Historikerin und hatte über die Familie Lion Feuchtwangers promoviert. Ihre Biografien und Bücher über Frauen, die sich in der Männerwelt behaupten konnten basierten auf Fakten, in diesem Roman sind allerdings sämtliche handelnden Personen rein fiktiv. Da die Handlung allerdings in einem realen Umfeld spielt, nämlich der Bonner Politikszene Ende der 70er Jahre, so ertappt man sich immer wieder dabei, in tatsächlichen Akteuren der Politik dieser Zeit, die Protagonisten des Buches zu suchen und zu erkennen und ich könnte mir vorstellen, dass die Autorin das auch so gewollt hat.

Das Buch ist in drei Teile aufgeteilt, die jeweils wieder in Kapitel unterteilt sind. Die Handlung spielt zwischen dem Herbst 78 und dem Frühjahr 79. Es ist so aufgebaut, dass wir als Leser von einem Schauplatz zum anderen wandern und das auch oft innerhalb eines Kapitels. Das sorgt im Lesefluss schon einmal für Stockungen, weil man sich zunächst einmal wieder zurechtfinden muss. Oft entsteht auch ein leichter Cliffhanger, wenn genau beim Sprung zum nächsten Plot eine Handlung unterbrochen wurde.

Worum geht es?

Catharina Cornelius hat sich im Bonn der späten 70er Jahre als Liberale einen Namen gemacht. Als der amtierende liberale Außenminister in der sozial-liberalen Koalition wegen einer Affäre seinen Hut nehmen muss, schlägt er Catharina als seine Nachfolgerin vor. So wird sie völlig überraschend zur ersten Außenministerin und Vizekanzlerin der Bundesrepublik Deutschland.

Catharina ist eng befreundet mit Suzanne, einer belgischen Journalistin und Azadeh, einer Filmemacherin aus dem Iran. Die drei hatten sich in einem Schweizer Internat kennengelernt und ihre Freundschaft hat über die langen Jahre nach der Schulzeit gehalten. Während Suzanne ihrer Freundin Catharina mehr den Rücken stärkt, aber beruflich weniger mit ihr zu tun hat, ist Azadeh von ganz anderem Kaliber. Ende der 70er Jahre waren die Menschen im Iran von ihrem Staatsoberhaupt, dem Schah tief enttäuscht und wünschten sich Veränderungen. Gerade auch die intellektuelle Oberschicht forderte mehr Freiheiten und Azadeh marschiert und protestiert mit ihnen in Teheran. Im ganzen Land herrschte eine revolutionäre Stimmung, die sich schließlich in der iranischen Revolution entlud, nur leider mit ganz anderen Folgen, als eigentlich erwünscht, vor allem für die Frauen.

Es geht im Buch nicht so sehr um politische Inhalte, es geht mehr darum, wie sich eine Frau in der damaligen Männerwelt überhaupt behaupten konnte. Catharina kommt ihre gute Erziehung zugute, sie kann sich in der Welt der Mächtigen auf internationalem Parkett bewegen. Ihr elegantes Auftreten und ihre mehrsprachige Eloquenz hinterlassen Eindruck. Es sind viel mehr die Männer, die dort versagen oder die sich nicht in ihre Gesprächspartner hineinversetzen können oder schlicht ständig einen Dolmetscher brauchen. Ganz häufig sind es die Frauen, die ihren Männern Rückhalt und Inspiration für ihre Ziele geben. Deutlich gemacht wird das an der Person der Ex-Gattin des ehemaligen Außenministers Helmut Busch.

Klar wird aber auch, dass über Parteigrenzen hinweg die Solidarität unter Frauen ganz wichtig ist. Die Bedeutung von Mentorinnen kann gar nicht hoch genug eingeschätzt werden. Catharina profitiert sehr von Hilde von Rochow, der Grande Dame der Liberalen, die aber keine politischen Ambitionen mehr hat. Auch ihr Büroteam steht voll und ganz hinter ihr. Die Autorin hat sich auf die weibliche Perspektive konzentriert, sowohl in Bonn als auch bei den Geschehnissen in Teheran. Dabei macht sie aber auch klar, dass auch Männer gute Freunde und Unterstützer sein können. Nur selten in der Politik! Nicht umsonst gibt es im Politikbetrieb die makabre Steigerungsform „Feind – Todfeind - Parteifreund“.

Gut fand ich, dass Catharina trotz aller Machtfülle doch immer Mensch blieb, die ihre alten Kontakte pflegte und sich bei menschlichen Enttäuschungen auch mal von Freunden trösten ließ. Nur durfte sie diese Schwächen nach außen nicht zeigen.

Auch tatsächliche Entwicklungen der Zeit spielen in die Handlung hinein. Die Umweltschutzbewegung, die sich später in der Partei der Grünen politisch formierte, spielt ebenso eine Rolle wie auch die alten Seilschaften der Nazis, die gerne wieder mehr Einfluss ausgeübt hätten.

Ich fand das Buch ausgesprochen lesenswert und die feinen Spitzen, die Catharina hier und da gegen die Männerwelt austeilte, haben mich schmunzeln lassen. Dumm nur, dass viele Männer die feinen Anspielungen nicht einmal verstanden, für die Zwischentöne schienen sie kein Ohr zu haben.

Das Buch endet zwar mit einer klaren Entscheidung, ruft aber auch nach einer Fortsetzung. Man würde schon gerne wissen, wie es im Bonner Politikbetrieb der 80er Jahre weitergeht. In der Realität wissen wir das zwar, in der Fiktion hätte es auch ganz anders sein können.