Nett zu lesen, aber hatte mehr erwartet

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sokapian Avatar

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Ich bin hin- und hergerissen, was ich von "Die Frau der Stunde" halten soll. Das Setting ist super und hat so viel Potenzial: Die liberale Politikerin Catharina Cornelius wird auf kurzem Wege Außenministerin - im Deutschland der 70er Jahre, also einem noch von Männern dominierten Politikbetrieb. Sie geht ihren Weg mit Fachkenntnissen, Selbstbewusstsein, einer guten Portion Humor und ihren zahlreichen Verbündeten, davon viele Frauen. Besonders hervorzuheben sind ihre beiden besten Freundinnen sowie ihre Parteikollegin und Mentorin. Insbesondere die Passagen mit Letzterer habe ich sehr gern gelesen.

Die Leserinnen und Leser bekommen Einblicke in diese Freundschaften und ihre Biografien, in politische Abläufe, Absprachen auf Toiletten, große Reden im Bundestag, in die Affäre mit einem Journalisten und Treffen mit ranghohen Politikern. All das im Setting der 70er Jahre. Das macht grundsätzlich Spaß beim Lesen.

Allerdings empfand ich insbesondere das erste Drittel als etwas fad. Heike Specht schreibt zwar flüssig, aber auch sehr ausführlich. So manch eine Biografie einer Figur war mir zu ausführlich und lähmte den Lesespaß. Bei der Hälfte nimmt die Geschichte etwas Fahrt auf. Insgesamt bleibt die Spannung aber aus und das Geschehen plätschert so vor sich hin.

Ein Großteil der Geschichten sind fiktiv, teilweise gibt es Andeutungen zu realen Begebenheiten. Autorin Heike Specht bezieht aber auch tatsächliche Ereignisse ein, wie die Revolution im Iran. Dabei schafft sie es durch die verschiedenen Frauenfiguren verschiedene Perspektiven auf die Situation zu geben: Zum einen aus der Sicht einer deutschen Außenministerin, zum anderen die Sicht von Künstlerin Azadeh, die teilweise vor Ort im Iran ist.

Heike Specht hat mit Catharina Cornelius eine sympathische und selbstbewusste Protagonistin geschaffen, die sich die Butter nicht vom Brot nehmen lässt und zwischen all den männlichen Politikköpfen gut zurecht kommt. Es macht Spaß sie auf ihrem Weg zu begleiten, allerdings ist das nicht immer so spannend wie es sein könnte und an einigen Stellen eher langweilig. Dennoch gibt "Die Frau der Stunde" interessante Einblicke.