Chaotisches Familienleben auf einer Schafzuchtfarm

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federfee Avatar

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‘Meine Zeilen waren zunächst noch sehr unausgereift…’ (408), so schreibt die Autorin selbst in ihrem Nachwort, was auch meine Einschätzung trifft: mal zu detailliert, mal berichtend gerafft, stilistisch unbeholfen klingend.

Der Untertitel ‘Mein Leben in einem Tag’ trifft es gut, denn es ist ganz schön viel Leben: nicht nur das von heute, sondern davor. Dabei geht die Autorin bis zu Eltern und Großeltern zurück.

Das Ganze wird in fünf großen Abschnitten gemäß den Tageszeiten strukturiert: Morgengrauen, Morgen, Nachmittag, später Nachmittag und Abend, wobei sie jeweils über ihr aktuelles Leben berichtet und wie sie es managt als Bäuerin auf einem großen Hof mit vier Kindern, Hunden, Meerschweinchen und vielen Nutztieren - Schafzucht und immer wieder in die Vergangenheit zurückspringt, um zu erklären, wie es dazu gekommen ist, dass sie trotz anfangs anderer Ambitionen doch wieder auf einem großen Hof gelandet ist.

Da sie selbst als Kind im Chaos eines Bauernhofes mit anpacken musste und den chaotischen Haushalt und den hektischen Familienalltag verabscheute, wollte sie in ihrem Leben anderes, Künstlerisches. Sie erreichte sogar einen Studienabschluss in diesem Bereich, fand allerdings keinen Job.

Zudem hatte sie James kennengelernt, der auch von einem Hof stammte, aber auch an Literatur interessiert war und sogar selber Geschichten und Gedichte schrieb. Sie verlieben sich, was sehr nüchtern und distanziert erzählt wird und ihr ist klar, dass sie ihr restliches Leben mit ihm verbringen will. Er studiert noch in Oxford und dort ziehen sie zusammen, wo sie mit Gelegenheitsjobs das Geld verdient. Schon damals war ihr großes Interesse an Kochen und Backen, an gesunder Ernährung offensichtlich, das sich wie ein roter Faden durch ihr Leben zieht.

Die Familiengeschichte wird immer turbulenter: sie ziehen in ein Haus, haben viel Arbeit mit Renovierung, sie erleidet eine Fehlgeburt, aber dann wird doch Tochter Molly geboren. Als diese gerade zehn Monate alt ist, kaufen sie ein altes renovierungsbedürftiges Haus, um dem Hof näher zu sein, wo James einen Großteil seiner Zeit verbringt.

‘Ich liebe es … aus einer Schutthalde ein wunderschönes Haus zu machen.’ (200).

Noch nicht auf dem Hof, aber schon ein chaotisches, turbulentes Leben. Dazu noch Unstimmigkeiten und Streit zwischen den Eheleuten, denn James ist in seinem Beruf unglücklich und möchte wieder auf den Hof, möchte Schafzüchter sein. Schließlich erwärmt auch sie sich für den Gedanken, auf dem einsamen Hof in den Fjells im hohen Norden zu leben.

Fand ich das Buch zuerst langweilig und dilettantisch geschrieben, wurde es ab der zweiten Hälfte interessanter, auch stilistisch besser, wie z.B. die eindrückliche Schilderung einer Geburt oder des Chaos in ihrem Alltagsleben. Was Priorität haben soll, muss jedesmal neu beantwortet werden: die Kinder - der Hof mit seinen Tieren - Reparaturen - Papierkram - der Haushalt …

‘An manchen Tagen habe ich das Gefühl, in diesem Leben allmählich zu ertrinken.’ (103)

Aber sie äußert auch zunehmend Einsicht in ihre Rolle und steht dazu:
‘Es gibt viele Wege, ein Leben zu führen, eine Frau zu sein. Ich weiß, dass viele Frauen nicht das wollen, was ich will.’ (336) - ‘Mutter zu sein heißt, in einem Hamsterrad von Erwartungen zu stecken - mental, emotional und körperlich.’ (245)

Es bleibt natürlich nicht aus, dass man sich als Leser fragt, warum sie sich dieses oder jenes ‘antut’: warum so viele Kinder, so viele Hunde? Warum manchmal so aufwändig kochen oder backen? Warum die Kinder im Auto essen lassen? Warum einkaufen mit dreien anstatt VOR der Schule mit nur einem Kind? Warum mit 38 Jahren noch ein viertes Kind?

Aber: nicht nur, dass es mir nicht zusteht, ihre Lebensentscheidungen zu kritisieren, ich kann nicht umhin, sie zu bewundern: wie sie ihrem Mann mit den Schafen hilft, wie systematisch und gekonnt sie dabei vorgehen, wie sie der Rolle der Hausfrau, der Versorgung der Familie einen großen Stellenwert zuspricht, wie sie ein kleines Kunstprojekt verwirklicht und sich dabei engagiert, Schulkindern den Zusammenhang zwischen Landwirtschaft, Natur und Ernährung zu verdeutlichen, die Bedeutung des Bodens und der Tiere klar zu machen: ‘Der Boden ist die Quelle allen Lebens.’ (369)

Ihre Überlegungen zur Ernährung - gegen verarbeitete, mit schädlichen Stoffen versehene Lebensmittel - sind lesenswert (271, 279), weshalb sie auch viele Rezepte teils in den Text integriert, teils hinten angefügt hat. Dazu kommen nützliche Listen, z.B. über Grundnahrungsmittel für die Vorratskammer etc.

Hat mich das Buch anfangs gelangweilt, hat es mich zunehmend für sich eingenommen mit seiner Warmherzigkeit, seinem Engagement, seinen Rezepten und den Schwarz-Weiß-Zeichnungen, die auf vielen Seiten eingefügt sind.