Trauerarbeit und Neuanfang

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REZENSION – Man braucht eine gewisse innere Ruhe und Offenheit, um die ungewöhnliche Stimmung und Atmosphäre im neuen Roman von Anette Strohmeyer (49) in sich richtig aufnehmen zu können. Denn „Die Frau und der Fjord“, im April beim Wunderlich Verlag erschienen, ist trotz des recht schlichten Titels wahrlich kein Unterhaltungsroman – obwohl er leicht zu lesen, stellenweise auch unterhaltsam ist und gegen Ende sogar spannend wird. Denn wie die Autorin in ihrer abschließenden Danksagung sagt, war das Schreiben dieses Romans zugleich ihre Art der Trauerarbeit: „Alles, was ich aufgrund des viel zu frühen Todes meines Mannes erlebt habe, in einem Roman zu verarbeiten, … hat mir gut getan und geholfen, das Gebirge der Trauer langsam, aber sicher abzubauen, bis dahinter ein Horizont der Hoffnung in Sicht kam.“ Dies zu wissen, ist für Leser wichtig, um den eigentlichen Kern der Handlung zu verstehen und die psychologische Tiefe dieses Romans zu erkennen: Es geht um Trauerbewältigung und die tröstende Kraft der Natur, um das Wiedererwachen verlorenen Lebensmuts und den langsamen Start in ein neues, ein anderes, ein hoffnungsvolles Leben.
Die einst beruflich extrem erfolgreiche Geologin Gro Kristjánsdóttir hat sich ein Jahr nach dem allzu frühen und für sie völlig überraschenden Tod ihres Mannes Nicklas, mit dem sie 26 Jahre zusammen war, zur Trauerarbeit in ein abseits jeglicher Zivilisation, in freier Natur einer Lofoten-Insel stehendes Holzhäuschen am Rand eines stillen, von Menschen noch unberührten Fjords zurückgezogen, den die Fischer des nächsten Dorfes „Hjemsøkelsen“ (Heimsuchung) nennen. Sie ist damit den sicher gut gemeinten Ratschlägen ihrer besten Freundin und dem haltlosen Zorn der Schwiegermutter entflohen, die Gro verübelt, sich mehr um ihren Job als um ihren kranken Mann gekümmert zu haben. Allerdings hatte dieser seine Krebsdiagnose vor Gro bewusst geheim gehalten.
Nach Wochen absoluter Einsamkeit – allein mit ihren Gefühlen, Gedanken und Erinnerungen an Ehemann und Berufsleben, an denen wir Leser teilhaben dürfen – lernt Gro die raue, unbarmherzige Natur am Fjord im Wechsel der Jahreszeiten mit Eiseskälte und dunklen Tage im Winter sowie den ungewöhnlich hellen Nächten im Sommer zu lieben. Sie meidet die Menschen, weshalb sie auch nur alle paar Wochen mit ihrem Boot zum Großeinkauf ins nächste Fischerdorf fährt. Ein halbes Jahr später empfängt sie in stürmischer Nacht auf dem alten Funkgerät in ihrer Hütte den Notruf des in Seenot geratenen Fischers Jens, den sie nahe ihrer Hütte unter Einsatz ihres Lebens retten kann und gesund pflegt. Zu ihrer Überraschung spürt sie durch ihn ein ihr inzwischen schon fremd gewordenes Gefühl menschlicher Nähe. Nach zögerlicher, aber freundlicher Aufnahme in seine Familie, die seit Generationen vom Fischfang lebt, wandelt sich Gro, die als Geologin jahrelang einem Ölkonzern bei der Suche nach reichen Ölvorkommen ohne Rücksicht auf Naturschutz behilflich war, zur radikalen Umweltschützerin, als ihr einstiger Arbeitgeber ausgerechnet in ihrer Fjordlandschaft nach Öl sucht. „Sie hatte die Folgen ihres Tuns schlicht verdrängt. Da musste sie erst ein halbes Jahr an einem einsamen Fjord hausen, ihn unzählige Male durchwandern, dabei Blumen bestimmen und Vögel aufpäppeln, um ihren Fehler zu erkennen.“ Doch nicht nur ihre berufliche Einstellung wandelt sich, auch ihr Lebensmut erwacht wieder: „Bisher kannte sie sich nur mit Steinen gut aus, mit totem Material anstatt mit lebendem. Das sollte sich ändern. Es war an der Zeit, sich mehr mit dem Leben zu beschäftigen.“
„Die Frau und der Fjord“ ist ein ruhiger, ungemein atmosphärischer und sehr feinfühliger Roman, auf den man sich emotional einstimmen muss. Dessen psychologische Tiefe ist nicht selten erst auf zweiten Blick zwischen den Zeilen erkennbar. Mit seinen ausführlichen Landschaftsbeschreibungen könnte man das Buch zu großen Teilen auch dem Genre Nature Writing zuordnen, ergänzt um die Themen Umweltschutz und kommerzielle Ausbeutung der Natur. Reine Unterhaltung und Spannung steht hier jedenfalls nicht im Vordergrund, auch wenn beides im Roman stellenweise zu finden ist. Denn vorrangig geht es um eine Frau, die ihren geliebten Partner verloren hat, und um die Schwierigkeit der Trauerarbeit, die jeder nur auf seine individuelle Weise wirksam leisten kann, wie am geschilderten Gegenbeispiel der ebenfalls trauernden Schwiegermutter deutlich wird. Die verschiedenen Themen in einer komplexen Handlung logisch zu verbinden, alles glaubwürdig, nachempfindbar und mit einer emotionalen Nähe zu schildern, gelingt der Autorin ausgezeichnet. „Die Frau und der Fjord“ bleibt einem nach der Lektüre noch recht lange im Gedächtnis.