Unbedingt lesen!

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kascha Avatar

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“Die Frau und der Fjord” von Anette Strohmeyer hat mich echt ziemlich getroffen. Ich hatte tatsächlich ein klein wenig etwas anderes erwartet, aber dann war es einfach nur WOW.

Die Geschichte handelt von wirklich schweren Themen: Verlust, Selbstfindung, innerer Heilung, Alleinsein... und noch viele mehr. Und in dieser Aneinanderreihung, in dieser ziemlich liebevollen Weise, aber auch streckenweise philosophischen Herangehensweise, findet man das eher selten.

Erzählt wird die Geschichte von Gro Kristjánsdóttir, die nach dem plötzlichen Tod ihres Mannes ihr altes Leben hinter sich lässt und sich in ein abgelegenes Holzhaus an einem norwegischen Fjord zurückzieht. Was zunächst wie ein Fluchtmoment wirkt, entwickelt sich über die Zeit als schmerzlich-zähe, aber dann doch Schritt für Schritt immer heilsamer werdende Reise. Erst zu einem anderen Ort und dann zu sich selbst und direkt in ein neues, anderes Leben.

Strohmeyer erzählt diese Geschichte mit viel Platz, um eigene Gedanken zu haben. Aber auch, um der Stille Raum zu geben. Der Natur, die auf dem Fjord so wunderschön ist. Und für die Innenwelt der Protagonistin, die sich nach und nach mehr öffnet. Diese Geschichte wird klar, unaufgeregt und gleichzeitig fast schon poetisch erzählt. sie ist wirklich kraftvoll und macht beim Lesen was mit einem. Zumindest hat es in mir ziemlich viel bewegt. Hätte es das nicht, würde ich diese Zeilen auch nicht schreiben.

Besonders toll fand ich, wie die Landschaft als Spiegel ihrer derzeitigen psychischen Verfassung dient. Zumindest hat man beim Lesen das Gefühl, dass ihr Sein und die Umwelt zusammengehören: die Kargheit der Lofoten, das Licht, das über dem Wasser bricht, die Kälte des Windes – all das spiegelt Gro’s inneren Zustand wider. Man friert mit ihr, man atmet auf mit ihr, man beginnt, sich mit ihr mitzubewegen. Ich hin und wieder beim Lesen die Luft angehalten, wenn sie am kalten Wasser gewerkelt hat oder aus diesem raus kam.

Gro als Figur ist für mich ein besonders Highlight, weil sie wirklich eine ganz besondere Protagonistin ist: Sie ist verletzt und verletzlich, will dies aber nicht zeigen. Sie ist kraftvoll und stark, sieht es aber manchmal nicht. Sie schottet sich von anderen ab und sehnt sich gleichzeitig nach Verbundenheit, sobald sie sie wieder spürt. Und stur ist sie auch ziemlich, was mich manchmal genervt hat. Als würde sie ihrem Glück selbst im Weg stehen.
Sie hat so viele Seiten und jede einzelne ist so gut beschrieben. Ihr Weg zurück ins Leben ist nicht linear, sondern gesäumt von Rückschlägen, Zweifel, und dann aber auch wieder kleiner Fortschritte. Dieses Hin und Her macht das aber auch so glaubwürdig, weil das bei uns ja auch so ist. Nur merken wir es manchmal nicht, wie wir durchs Leben mäandern.

Auch die Nebenfiguren sind fein und mit wirklich viel Liebe gezeichnet. Der wortkarge Fischer Jens etwa, der nach einem Sturm in Gros Leben tritt, bleibt nicht bloß eine Projektionsfläche für Romantik und Beziehungsfragen, sondern ist selbst ganz komplex, mit Ecken, tiefen Verletzungen und seiner ganz eigenen Geschichte, die wichtig ist, dass es Gro verstehen kann.

Was “Die Frau und der Fjord” so zusätzlich besonders macht, ist, dass es sich hier nicht nur um eine Liebesgeschichte handelt, sondern auch das Thema Ölförderung (und wie weit Firmen für die Ausbeutung der Natur gehen) und Solidarität und die Kraft, die sich aus so einer Bewegung entstehen kann, behandelt wird. Das gibt dem gesamten Plot noch eine ganz neue Dimension, die absolut natürlich in die Geschichte eingewoben wurde und noch mal einen ganz besonderen Twist bringt. Und auch wie diese Themen kritisch beäugt werden - aus den ganz verschiedenen Perspektiven der jeweiligen Protagonist:innen. Einheitlich kann man aber am Ende sagen: Die Gier der großen Konzerne ist zum Kotzen und da sind sich sicherlich auch alle einig.

Das Buch sagt uns eins: Das Leben ist nicht linear. Es gibt kein vorgegebenes und abgesegnetes Drehbuch. Aber es gibt für alles die richtigen - die eigenen Wege. Stille. Routinen. Verbindungen zu anderen Menschen. Kleine Schritte - auch wenn sie zunächst unmöglich erscheinen.

“Die Frau und der Fjord” ist ein Buch, das einen in die Stille des Fjords einhüllt, damit man sich der Tiefe der Geschichte widmen kann. Deshalb geht es so ans Herz. Es ist literarisch durchaus anspruchsvoller, nicht sperrig oder irgendwie schwer beim Lesen. Es ist emotional, aber auf keinen Fall sentimental. Es ist wirklich wie so ein kühler Windhauch, der einem Gänsehaut schenkt und einen für das wach macht, was wirklich zählt.