Zwischen Trauer und Neuanfang

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nina2401 Avatar

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Im Mittelpunkt der Erzählung steht Gro Kristjánsdóttir. Sie lässt nach dem plötzlichen Tod ihres Mannes Nicklas alles hinter sich und zieht sich in ein einfaches Holzhaus auf den norwegischen Lofoten zurück. Dort widmet sie sich ihrer Trauer und versucht ganz zaghaft einen Neuanfang fernab jeglicher Zivilisation. Die karge, raue Szenerie des Polarkreises ist zugleich Trost, Herausforderung und Spiegelbild der inneren Gefühlswelt von Gro.

Der Einstieg in den Roman ist von tiefer Melancholie geprägt. Gro versinkt in ihrer Trauer, die sie oft überwältigt. Ich erlebe mit Gro die Schwere und Unausweichlichkeit des Verlustes. Das macht mich mitunter sehr traurig, denn ich mag mir diesen Verlust nicht vorstellen. Die Trauer wird nicht beschönigt, sondern als Prozess in all seinen Facetten gezeigt – mit Zweifeln, Rückblicken, der Angst, Fehler gemacht zu haben, und dem Wunsch, niemanden mehr an sich heranzulassen. Das war manchmal schwer auszuhalten. Aber die atemberaubende Natur und auch die Einsamkeit, für die sich bewusst entschieden hat, helfen Gro Schritt für Schritt aus ihrer Trauer heraus und den Wert des Lichtes nach der Dunkelheit neu zu entdecken.

Mitten in der Einsamkeit bringt ein stürmischer Abend die Wende: Der Fischer Jens ist mit seinem Boot in Gros Fjord havariert und während sie ihn gesund pflegt, entsteht ganz zaghaft Nähe. Die Annäherung ist behutsam erzählt, es ist ein fragiles Tasten, frei von jeglichem Kitsch, das von Unsicherheit und vorsichtiger Hoffnung geprägt ist. Es wird immer mehr deutlich, dass wirkliche Heilung nur in der Begegnung mit anderen möglich ist. Dies wird nicht nur durch die Beziehung zu Jens erkennbar, sondern auch durch die Konfrontation mit ihrer Vergangenheit. So ganz ohne Spannung geht es in einem Buch von Anette Strohmeyer nicht. Aber für mich hat dieser nicht unwichtige Teil gar keine so große Rolle gespielt.

Das Buch ist in vier Teile gegliedert. die den Jahreszeiten folgen. Der Roman beginnt im Winter, wenn die Dunkelheit am tiefsten ist, und folgt dem natürlichen Wandel bis in den Frühling und Sommer, wenn das Licht zurückkehrt – ein geschicktes Symbol für den Trauerprozess und die allmähliche Öffnung von Gro.

Die Sprache ist klar und atmosphärisch. Mit wenigen, sorgfältig gewählten Worten entstehen Bilder vor meinem inneren Auge, die lange nachwirken. Besonders die Landschaftsbeschreibungen und die Darstellung der Emotionen sind von großer Sensibilität geprägt. Anette Strohmeyer verzichtet auf übertriebene Dramatik und setzt stattdessen auf leise Zwischentöne. Am Ende bleibt das Gefühl, dass nur jene, die die Dunkelheit kennen, das Licht wirklich schätzen können. Und dass jeder Fjord, jeder Neubeginn, seinen eigenen Zauber hat, den es zu entdecken gilt.