Ein Denkmal für die sizilianischen Frauen

Voller Stern Voller Stern Voller Stern Voller Stern Voller Stern
mazapán Avatar

Von

Mario Giordano hat seinen Roman "Terra di Sicilia" mit diesen Worten beendet: "Auf einer Anrichte klappern Porzellantässchen mit einglasierten Namen der Frauen der Familie Carbonaro. Von ihnen will ich erzählen."
Zwei Jahre musste ich warten, um die Geschichten dieser Frauen zu lesen. Auch wenn ich die Familie Carbonaro schon kannte, war mir klar, dass ich nur eine Perspektive des Ganzen hatte. Die von dem Patriarchen Barnaba Carbonaro, um den sich alles in der Familie dreht. Dass diesmal die Frauen erzählen, versprach eine ganz andere Sicht der Dinge. Es handelt sich hier um eine sizilianische Familie, in der es die Frauen nicht einfach hatten. Zumindest so nach meiner Vorstellung des Lebens einer sizilianischen Frau im letzten Jahrhundert (der Zeit, in der hauptsächlich die Handlung spielt) und natürlich auch nach dem lesen von "Terra di Sicilia". Aber auch Charakter und Stärke gehören für mich zu den Eigenschaften einer Sizilianerin, was es den Männern bestimmt nicht so einfach macht, sie unterdrücken zu können. Andererseits sind genau diese Frauen, die für die Erziehung der Söhne zuständig sind. Das bedeutet, dass sie es in der Hand haben, das Patriarchat zu beeinflussen.
Diese ganzen Überlegungen waren für mich noch vor dem lesen von "Die Frauen der Familie Carbonaro" sehr wichtig. Ich war sehr gespannt darauf zu erfahren, ob ich mit meinen Gedanken zum Thema richtiglag, oder ob ich große Überraschungen erleben würde. Letzteres war mir eigentlich schon klar, also ging es mir nur darum, auf die Art Überraschung zu warten.
Und sie kam. Und noch viel früher als erwartet. Ich bin gewohnt, beim Lesen der Bücher von Giordano zu lachen. Dazu gab es diesmal keinen Grund.

Drei Generationen Carbonaro-Frauen erzählen dem Schriftsteller in der Familie ihre Geschichten. Sie sind voll mit erschütternden und erstaunlichen Ereignissen, mit Kämpfen gegen die Herrschaft der Männer in der eigenen Familie, in der Umgebung und in allen anderen Bereichen, in denen es wichtig war, die Machtverhältnisse klarzustellen. Es geht auch um Errungenschaften und Niederlagen, und um die Kraft, immer wieder von vorne anzufangen, sogar dann, wenn die Hoffnung schon gestorben zu sein schien. Und es geht natürlich auch um die Männer. Die nichts Anderes waren als die schwachen Hälften ihrer Frauen. Meistens.

Mario Giordano hat mit "Die Frauen der Familie Carbonaro" den Frauen seiner Familie und deren sizilianischen Heimat ein Denkmal gesetzt. Die Liebe, den Respekt und die Bewunderung des Autors für seine Wurzeln spürt man auf jeder Seite dieses Buches.
Und diese Gefühle sind ansteckend. Noch nie davor hatte ich so ein großes Bedürfnis, den Schauplatz eines Romans kennenzulernen. Denn ein bisschen sizilianisch fühle ich mich schon.