Sprachlich sehr gelungen

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waterlilly Avatar

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Eins meiner Jahreshighlights 2018 war „Die Sonnenschwestern“ von Tracy Rees. Mit hohen Erwartungen habe ich deswegen ihre anderen beiden Romane „Amy Snow“ und „Florence Grace“ gelesen und fand sie bestenfalls mittelmäßig. Der Klappentext von „Die Frauen von Richmond Castle“ klang so vielversprechend, dass ich beschloss, der Autorin noch eine Chance zu geben. Eine gute Entscheidung, wie ich schon nach wenigen Seiten feststellte. Die Geschichte beginnt am 21. Geburtstag der Hauptfigur. Ich habe es sehr begrüßt, dass die Protagonisten allesamt erwachsen sind, war es doch gerade die kindliche Ausdrucksweise, die mir in „Amy Snow“ und „Florence Grace“ weniger zugesagt hat.
Der Dreh- und Angelpunkt dieses neuen Romans ist die wohlhabende Familie Camberwell. Sie sind allesamt Sympathieträger und haben das Herz auf dem rechten Fleck. Ihre individuellen Eigenarten machen sie noch authentischer und liebenswerter.
Hauptsächlich wird die Geschichte aus Sicht der jüngsten Camberwell Tochter Ishbel, genannt Blue, erzählt. Mit der Erwartungshaltung der damaligen Gesellschaft, sich baldmöglichst einen Ehemann zu suchen, kann sie nicht viel anfangen. Sie ist eine moderne junge Frau, die sich zuerst selbst verwirklichen möchte. Sie träumt von einer Karriere als Schriftstellerin und ist überglücklich, als sie für ein halbes Jahr einen Job bei einer Zeitung bekommt. Die selbe Zeitung, in deren Klatschspalte sie regelmäßig der Star ist, insbesondere seit ihr Vater öffentlich alle heiratswilligen Männer aufgerufen hat, das Herz seiner Tochter per Brief zu erobern. Eine Sache, die Blue zunächst zuwider war, aber als die ersten Briefe eintrudeln, kann sie sich deren Faszination doch nicht entziehen.
„Die Frauen von Richmond Castle“ beginnt 1925 und Tracy Rees bedient sich einer Sprache, die die damalige Zeit wiederaufleben lässt. Sie entscheidet sich bewusst für teilweise antiquierte Ausdrücke, was mir sehr gut gefallen hat. Manche längst vergessene Wörter habe ich mir gleich mehrmals durchgelesen um sie mir einzuprägen, da ich ein absolutes Faible für aus der Mode gekommene Ausdrücke habe.
Ich denke, wer gerne Jane Austen liest, wird mit „Die Frauen von Richmond Castle“ glücklich werden.
Auch der Schauplatz, das Örtchen Richmond, ist absolut bezaubernd und die Beschreibungen der Landschaft zeichnen so ein idyllisches Bild, dass man selbst gerne in diese Gegend reisen möchte.
Der Hauptfokus liegt zwar auf Blue, aber wie der Titel schon verrät, geht es hier um mehr als eine Frau. Bei den anderen beiden handelt es sich zum einen um Delphine, die vor ihrem gewalttätigen Ehemann flieht und schon bald eine enge Freundin der Camberwells wird sowie um Midge – Kenneth Camberwells zweite Frau, die das Gefühl hat, im Schatten ihrer verstorbenen Vorgängerin zu stehen.
Alle drei sind grundverschiedene Persönlichkeiten. Insbesondere Blue und Delphine mochte ich sehr und habe Ihre Entwicklung mit Interesse verfolgt.
So bildgewaltig, wie der Roman geschrieben ist, hat er gleichzeitig ein paar Längen, die zwar nicht langweilig sind, aber das Buch zu einer ruhigen Lektüre machen. Es gibt keine großen Überraschungen auch das Familiengeheimnis konnte ich schon früh erahnen. Der Klappentext ist hier übrigens etwas irreführend – die Freundschaft von Blue und Delphine ist nie in Gefahr und es gibt keine Probleme zwischen den beiden.
Das Ende ist rund und stimmig mit einer positiven Tendenz für die Zukunft. „Die Frauen von Richmond Castle“ ist nicht so gut wie „Die Sonnenschwestern“ aber für mich das zweitbeste Buch der Autorin und ein Schmöker, den ich gerne gelesen habe.