Fesselnd und abstoßend zugleich

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elke seifried Avatar

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„Die Insel und ihre Umgebung sind als Naturschutzgebiet ausgewiesen. Brutpläitze für Sturmtaucher und Fischadler und so was. Max Bror hat darauf gepfiffen und im Krater des Vulkans gebaut, ein .., wie soll ich es nennen: ein Ferienhaus. Eine Art Hideway zu seiner Entspannung.“

Genau für diese Insel vor Lanzarote sucht bzw. lässt Max Bror einen neuen Gärtner suchen und die Entscheidung fällt auf Toni. Denn wenn eine der Herausforderung gewachsen ist, der Stille und Einsamkeit der Privatinsel zu trotzen, dann sie, funktioniert sie doch seit dem Tod ihres geliebten Ehemannes nur noch, hat sie sich doch seither in ihre ganz eigene Welt zurückgezogen.

„Ich weiß, was jetzt kommt: Ach Gott, so ein grüner Trampel, der mit dem Laubbläser durch den Park läuft und den Taubenschiss durch die Gegend pustet.“

Nein ein solcher grüner Trampel ist Toni nicht, auch wenn ihr Äußeres es vielleicht manchmal vermuten lässt. Toni ist ein einsamer, empfindsamer Mensch, der für seine Pflanzen lebt, stets nach dem Guten im Menschen sucht und obwohl sie unglaublich trauert, jede Menge Rückgrat zeigt, ja auch niemals kleinbeigibt.

Als Leser darf man mit Toni auf die Insel ziehen, muss dort mit ihr versuchen, Licht in den völlig verwilderten Garten zu bringen, die Insel wieder oder überhaupt zum ersten Mal aufblühen zu lassen. Während es immer noch den Verlust zu verarbeiten gilt, muss man auch mit dem völlig vergrämten Max Bror klargekommen, was sich als noch schwerere, oft auch entwürdigende Aufgabe entpuppt. Aber kann bei einem solch abscheulichen Mann nicht auch die harte Schale geknackt und das Herz zum Sprießen gebracht werden?

„Alle Fensterläden waren geschlossen, als würde das Haus die Augen zukneifen, und die sturmgepeitschten Palmen wirkten wie fliegende Haare.“ Nicht nur Sturm und Orkan, der um die Insel peitscht lässt die Autorin mit großartigen Bildern miterleben, nein sie nimmt einen direkt mit nach Monte Spina. Schon zu Beginn, als ich Toni, die in ihrer eigenen Welt lebt, Zwiegespräche mit ihrem verstorbenen Mann führt, kennenlernen durfte, hat mich die Autorin emotional gehabt. Ich hatte sofort Mitleid mit ihr, das Geheimnis rund um Monte Spina hat sein übriges getan, dass ich von Anfang an gefesselt war. Hernike Scriverius hat mich hier mit auf eine emotionale Achterbahnfahrt der ganz besonderen Art genommen, die bei Mitgefühl, Wut und Entsetzen angefangen, über Hoffnung, Freude, Enttäuschung, Demütigung und Genugtuung bis hin zu absoluter Fassungslosigkeit, aber auch Anziehung, wirklich alles bietet. Sie versteht es beim Leser Emotionen nicht nur entstehen, nein vielmehr sogar aufkochen zu lassen. „ Peter atmete heftig aus. Sein Gesicht wirkte bleich unter der Bräune und seine Augen waren klein und verschwollen. “. Ich glaube ich habe wie Toni gefühlt, einerseits abgestoßen, manchmal wurde mir fast übel vor lauter Widerwärtigkeiten, habe ich so wie sie gehofft, dass die kleinen Lichtblicke, die verraten, dass unter so vielen Wunden ein winzig kleiner Funken Herz versteckt ist, doch noch irgendwie durchbrechen. Ich musste einfach erfahren, wie die Geschichte weiter bzw. ausgeht. Richtig gut haben mir zudem die pointierten Beschreibungen und Dialoge gefallen. Ganz oft zum Schmunzeln hat mich z.B. Lou Thorns loses Mundwerk gebracht. „Ich meine, ich hatte schon eine Menge Kerle, ja? Letztlich ist das doch wie Essen und Trinken, wir brauchen es zum Leben, sonst verschrumpeln wir, aber oft ... naja. Oft gibt´s eben nur Chicken Wings und Cola light. Macht trotzdem satt.“, ist nur ein Beispiel dafür.

„Wenn irgendwo da draußen auf dich jemand wartet. Nur ein einziger Mensch, und wenn es am anderen Ende der Welt ist. Dann ist Alleinsein schön. Man kann tun, was immer man will, und weiß doch, dass sich jemand freuen würde, wann man um die Ecke biegt. Aber wenn es so still ist wie jetzt. Weil um dich herum das Leben tobt und Gelächter und Stimmengewirr, aber du selbst gehörst nicht dazu. Weil du in dir festhängst und nicht rauskommen willst oder kannst. Dann ist Alleinsein schlimm. Denn dann ist es Einsamkeit.“ Unbedingt erwähnen muss ich auch die vielen tollen Gedanken, die die Autorin in ihrem Roman unterbringt, alleine schon aus diesem Grund fiebere ich ihrem nächsten Roman regelrecht entgegen.

Die Autorin ist zudem eine Meisterin der Figurenzeichnung. Ich habe die Geschichte so richtig mit Toni gelebt. „Das ist der Gaten! Ich ertrage Sie darin stumm und geduldig wie eine Gespinstmotte.“.. Gespinstmotte ist vielleicht noch zu nett, um Max Bror zu beschreiben. Es bereitet ihm Freude andere am Boden liegen zu sehen, er ist Meister darin, Leute, die auf seiner Abschussliste stehen, zu brechen und selbst dann, wenn diese am Ende sind, tritt er noch einmal zu. So sehr abgestoßen hat mich selten eine Romanfigur. Gleichzeitig hat er mich aber auch stets neugierig auf sich und seine Geschichte gemacht und auch wenn er mich zwar nicht angezogen hat, so wie zunehmend Toni, ich konnte bei ihm durchaus auch Versuche erkennen, Herz zu zeigen. Sehr gut hat mir auch Helen, die geheimnisvolle Hausdame, die mehr Einfluss auf Max Bror hat, wie man zu Beginn denkt, gefallen. Vergessen will ich auch nicht: „Miss Thorn kam vor einem Jahr zu uns und übernimmt seitdem die geschäftlichen Aufgaben. Wenn Mr. Bror hier ist, unterstützt sie ihn im Büro. Ignorieren sie bitte ihre Vorliebe für unvorteilhafte Garderobe.“, ist er nicht hier, suhlt sie sich im Liegestuhl und lackiert ihre Nägel. Louise bringt durch ihre Lebenseinstellung, ihre Art viel Witz in die Geschichte.

Alles in allem hat die Autorin zwar hier einen Hauptprotagonisten geschaffen, der mich maßlos abgestoßen hat, diesen jedoch so geschickt in eine fesselnde Geschichte verpackt, dass ich das Buch nicht mehr aus der Hand legen wollte. Deshalb gibt es von mir auch noch fünf Sterne für dieses vielversprechende Debüt, das sicher polarisieren wird.