Charaktertiefe, Anekdoten und eine Leiche im Olivenfass

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anna_banana Avatar

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„Glaube versetzt selten Berge,
Aberglaube immer ganze Völker.“
Resümee meiner bisherigen Beobachtungen (schrieb Rafik Schami)

Mit dem Roman „Die geheime Mission des Kardinals“ erzählt der in Damaskus geborene Autor die Geschichte eines skurrilen Mordes, bringt den Leser in den Orient und lässt sie oder ihn einen Blick in die syrische Gesellschaft werfen. Zwischen den Religionen, zwischen Glaube und Aberglaube, Liebe und Einsamkeit, der aufblühenden Freundschaft eines italienischen und eines syrischen Mannes erzählt Rafik Schami außerdem detailliert vom letzten Fall des Kommissars Zakaria Barudi.

In einem Olivenfass wird ein italienischer Kardinal in die italienische Botschaft geliefert. Barudi, der kurz vor der Rente steht, übernimmt diesen Fall. Aufgrund der Wahrung des Friedens zwischen den Ländern wird ihm ein italienischer Kollege zur Seite gestellt. Die beiden verstehen sich auf Anhieb. Marco Mancini, der sehr gut arabisch sprechen kann und früher bereits in Syrien war, hält viel von dem aufrechten Barudi, der liebenswert, einsam und überaus erfahren dargestellt wird. Der jüngere Mancini ist ein smarter Typ, der nicht nur guten Wein liebt und wie Barudi ein genussvoller Esser der syrischen Küche ist, sondern der die Einsamkeit seines Gefährten durchaus verstehen kann, da er die ein oder andere gescheiterte Ehe vorweisen kann.
Weitere Charaktere werden vorgestellt und vielseitig beleuchtet. Aber vor allem Kommissar Schukri könnte als dritte Hauptfigur gesehen werden. Auch bei ihm findet sich das Thema der Einsamkeit zentral in seinem Leben wieder. Mit gelegentlichen Stelldicheins hält er sich über Wasser, wobei er sich einredet, dass er auch nichts anderes brauchen würde.

Schami legt viel Wert auf eine tiefe und vor allem gründliche Charaktervorstellung. Jede Hauptfigur soll verstanden werden und bekommt immer wieder eine Bühne für die eigenen Gedanken, sowie Episoden aus der Vergangenheit. Kommissar Barudi lässt er sogar in regelmäßigen Abständen via Tagebucheintrag kommunizieren. Der Roman besitzt eine sehr offene Erzählweise. Zu fast jedem Zeitpunkt ist vollkommen klar, welche Absichten, Gedanken beziehungsweise Ansichten die Figuren haben, die im Moment in jeder beschriebenen Szene und in jedem Satz die Schlüsselposition einnehmen. Diese offene Erzählweise ist mir bisher nicht begegnet und ich würde sie als besonderes Merkmal dieses Werkes deklarieren.

Somit gibt es keinen klassischen Spannungsaufbau, dennoch wird die Leserin oder der Leser Stück für Stück an die Lösung des eigentlich im Mittelpunkt stehenden ermordeten Kardinals herangeführt. Die Handlung baut sich sehr langsam auf, da zwischendurch immer wieder Platz für die persönlichen Anekdoten und Verständnis bringenden Erzählungen der Hauptcharaktere geschaffen wird. Charaktere werden vertieft oder sogar weiterentwickelt. Barudi lernt im Laufe des Romans zum Beispiel eine neue Liebe kennen, womit das Thema Einsamkeit plötzlich eine neue Richtung bekommt.
Ich sehe das an dieser Stelle als Stärke an, da mir ein Buch, das fremde Sichtweisen beleuchtet und für Verständnis plädiert sehr sympathisch und lesenswert erscheint.

Zu guter Letzt geht der Autor mit großer Ernsthaftigkeit an die Religionen heran, zeigt respektvoll auf, welche Vielfalt er gibt und lässt seine Figuren auch die ein oder andere Kritik an der Gesellschaft Syriens äußern. Wie werden Frauen behandelt? Welche Wünsche und Hoffnungen gibt es? Fanatismus, Disziplin und ein durch Schicksalsschläge geprägtes Weltbild werden thematisiert.

Einige weitere zentrale Fragen ergeben sich aus der Summe der genannten Themenbereiche. Welche Überzeugungen hat der Mensch aufgrund seiner Familie, seiner Herkunft, seiner Bildung, seiner Religion, seiner Mitmenschen? Was und wie viel reicht aus, um diese Überzeugungen unabdingbar für bestimmte Zwecke einzusetzen?

Im Laufe der Geschichte treffen Barudi und Mancini auf sogenannte Wunderheiler und religiöse Terroristen. Und es gibt auf allen Seiten Menschen, die sich überzeugen lassen, fest daran glauben, alles für Schwachsinn halten oder ihren Nutzen daraus ziehen. Ob gutgläubig oder manipulativ. In erster Linien hält sich kaum jemand für den Übeltäter, sondern eher im Gegenteil für den Erlöser.

In diesem Sinne scheint Rafik Schami mit seinem Zitat zu Beginn des Buchs, welches ich in dieser Rezension ganz oben angeführt habe, zu kritisieren, dass ein bestimmter Grad an Unwissenheit und Einfältigkeit sehr gefährlich sein kann, für sich selbst und seine Mitmenschen. Aberglaube ist die Angst vor etwas, das man nicht versteht und anstatt dem Unbekannten auf den Grund zu gehen und zu hinterfragen. Dass lieber auf das gehört wird, was alle sagen, während man die Hände über den Kopf nimmt und davoneilt.

Über „Die geheime Mission des Kardinals“ ließe sich noch vieles sagen. Es hat mir sehr gefallen, mir viele neue Aspekte Syriens verdeutlicht, eine sympathische Erzählweise vor Auge geführt, die relativ ausgeglichen zwischen heiter und melancholisch wechselt und in unzähligen Anekdoten ebenso von den schwierigen sowie von den leichten Augenblicken des Lebens der Kommissare und ihrer Mitmenschen berichtet.