Ein als Krimi getarnter Gesellschaftsroman

Voller Stern Voller Stern Voller Stern Voller Stern Leerer Stern
singstar72 Avatar

Von



Eines vorweg: ich mag Rafik Schami! Er erzählt so orientalisch-üppig, dass man in seinen Büchern versinken kann. Er versteht es meisterhaft, vergangene Welten und Kulturen heraufzubeschwören. Allerdings gelingt ihm das meiner Meinung nach in der Kurzform besser, so z. B. in „Eine Hand voll Sterne“ oder dem „Erzähler der Nacht“. „Die geheime Mission des Kardinals“ habe ich zwar durchaus gemocht und genossen, aber als packenden Krimi würde ich sie sicherlich nicht bezeichnen.

Das Buch ist vielmehr ein Gesellschaftsroman aus einem Syrien vor dem Krieg. Das aber damals schon aufgerieben wurde von Unterwanderung, Korruption und Behördenwillkür. Der Krimi ist nicht viel mehr als ein Aufhänger, und geriet für mich im Laufe des Buches mehr und mehr in den Hintergrund.

Die Leiche eines Kardinals ist in einem Fass voller Olivenöl an die italienische Botschaft in Damaskus geschickt worden. Kommissar Barudi, kurz vor der Pensionierung, wird mit der Aufklärung betraut. Von Anfang an nehmen die persönlichen Verhältnisse der Figuren viel mehr Raum ein als der eigentliche Fall. Die Assistenten des Kommissars werden mit liebenswerten Verschrobenheiten charakterisiert, ebenso der Cheftechniker Schukri oder Barudis Vorgesetzter. Es geht immer wieder um Anekdoten aus ihrem Dienstalltag, um Verwandtschaftsverhältnisse in der syrischen Politik, um arabische Schimpfwörter, Sprichwörter und Flüche, um Kaffee mit Kardamom und um gutes Essen.

Nach etwa einem Drittel des Buches kommt ein italienischer Kollege hinzu: Marco Mancini aus Rom wird offiziell hinzugezogen. Nun entwickelt sich die Geschichte noch einen Ticken langsamer. Es geht eigentlich um die wachsende Männerfreundschaft zwischen Mancini und Barudi. Sie gehen essen, trinken gemeinsam Unmengen von Wein und Kaffee, bleiben gemeinsam lange wach. An einigen Stellen ist mein Interesse sogar etwas ermüdet, da für mich unnötig lange geschildert wird, wie und warum Mancini lieber als Journalist auftreten sollte, und wie er seine Papiere bekommt.

Die Handlung mäandert so vor sich hin, bis hin zum eigentlich vorherbestimmten Ende. Es sollten sowohl der Aberglaube im Lande als auch die politischen Verhältnisse dargestellt und kritisiert werden. Wer die Täter sind, ist eigentlich unerheblich, zumal in Syrien selten konsequent verfolgt und bestraft wird. Barudi hat mir am Ende wirklich Leid getan! Er beschließt eine Karriere mit einem Fall, bei der das eigentliche Ergebnis unter den arabischen Teppich gekehrt wird.

Diese scheinbaren Kritikpunkte sind gleichzeitig die herausragenden Kennzeichen des Romans. Ich habe mich durchaus nach Syrien versetzt gefühlt, habe Falafel und Hummus gerochen, saß mit den Ermittlern in kleinen Restaurants und Pensionen, und habe auf Gott und den Präsidenten geschimpft. Sehr liebenswert fand ich mehrere kleine Nebenhandlungen, wie zum Beispiel Barudis Besuche beim redseligen Friseur! Oder aber sein Verhältnis zur Sekretärin, Frau Malik. Das wirkte ein wenig wie bei James Bond und Miss Moneypenny. Auch sehr pfiffig: die eingestreuten Abschnitte aus Barudis „Tagebuch“. So konnte der Autor viele kleine Schnipsel einstreuen, die das Buch farbiger machten, und die das Privat- und Gefühlsleben von Barudi beleuchteten.

Syrien wird und/oder wurde von Männern dominiert und regiert – insofern sollte ich mich wohl nicht wundern. Frauen kommen hier fast gar nicht vor, oder spielen eine sehr untergeordnete Rolle. Basma, die große Liebe von Barudi, ist leider zu früh verstorben. Frau Malik, die Sekretärin, ist kompetent und einfühlsam – aber eben nur Sekretärin. Barudis Nachbarin Nariman kann schließlich seine seelischen Wunden heilen. Aber auch hier kein Happy End. Sie ist frisch geschiedene Muslimin. Und da Barudi Christ ist, müssen sie ihr Verhältnis zunächst geheim halten. Traurige Welt.
Ich habe mich mit dem Buch gefühlt wie mit einem heißen Tee am Kamin. Durchaus wohlig und gut unterhalten. Aber ich konnte es genausogut ein paar Tage weglegen, ohne den Faden zu verlieren. Das passiert mir bei einem Krimi sonst nie. Und deswegen ist es auch keiner. Ich würde das Buch als gesellschaftskritischen Roman ansehen und empfehlen, bei dem man sich Zeit nehmen kann und soll.