Ein aufschlussreiches Bild der syrischen Gesellschaft – verpackt in einen Kriminalroman

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takabayashi Avatar

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Ich hatte bisher noch kein Buch von Rafi Schamik gelesen, da kam es mir als bekennender Krimileserin sehr zupass, dass sein neuster Roman als Kriminalroman „getarnt“ daherkam.
Der mäandernde, opulente Erzählstil hat mir sehr gefallen und ich habe diesen Bericht aus dem Syrien des Jahres 2010 – kurz vor Ausbruch des Bürgerkrieges – mit großem Vergnügen gelesen. Wobei die Krimihandlung nicht im Vordergrund steht und somit auch der Spannungssog eines Pageturners fehlt; ich habe für meine Verhältnisse relativ lange für diesen Roman gebraucht, was aber nichts über das Lesevergnügen aussagt!

Kommissar Barudi aus Damaskus steht kurz vor der Pensionierung, als er seinen letzten Fall auf den Tisch bekommt: In der italienischen Botschaft wurde ein Fass mit Olivenöl abgeliefert, in dem sich die Leiche eines aus dem Vatikan besuchsweise in Syrien weilenden Kardinals befand. Ein hochbrisanter Fall! Um sich abzusichern schlägt Barudi vor, einen italienischen Polizisten hinzuzuziehen. Ein Glücksfall, wie sich herausstellt. Kommissar Mancini hat Arabistik studiert, spricht also fließend Arabisch, und er und Barudi sind auf Anhieb auf einer Wellenlänge.

Der Roman wechselt häufig die Perspektiven: mal wird in der dritten Person vom Fortschritt der Ermittlungen berichtet, mal erfahren wir durch Ausschnitte aus Barudis Tagebuch sehr viel über seine Persönlichkeit und Vorgeschichte. Auch Mancini und den dritten Verbündeten der beiden, den Spurensicherer Schukri, lernen wir recht gut kennen.

Schamis Erzählweise ist ausufernd orientalisch, er kommt sozusagen vom Hölzchen aufs Stöckchen, aber gerade das macht den Reiz dieser Erzählweise aus und lässt vor dem Auge des Lesers ein Kaleidoskop der syrischen Gesellschaft mit all ihren Facetten entstehen. Einer Gesellschaft, die von der Angst vor dem allgegenwärtigen Geheimdienst geprägt wird, von unterschiedlichen Religionen und von Aberglauben.

Barudi und Mancini machen sich auf zu einer Reise nach Norden, zu einem Bergheiligen, den auch der Kardinal aus Rom aufgesucht hatte. Dabei kommen sie durch das ländliche Syrien und werden schließlich von einer islamistischen Terrorgruppe gefangen genommen, dann aber von diesen beschützt. Mancini drängen sich immer wieder die Parallelen zwischen der mafiösen Gesellschaft Italiens und der geheimdienstverseuchten syrischen Gesellschaft auf.

Barudi hat im Laufe der Erzählung eine neue Liebe, eine Witwe aus der Nachbarschaft, und in Mancini einen neuen guten Freund gefunden. Er schafft es, den Fall aufzuklären, auch wenn er die Art, wie mit seinen Ermittlungsergebnissen umgegangen wird, als persönliche Niederlage empfindet.

Von nun an werde ich sicher noch mehr von Rafik Schami lesen – da habe ich wohl einiges nachzuholen. Durch die Lektüre dieses Romans habe ich sehr viel über Syrien erfahren und der Schreibstil hat mich begeistert. Klare Leseempfehlung!