Im Griff der Krake

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gerwine ogbuagu Avatar

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Ein neuer Fall, der den Geheimdienst und die Polizei in Damaskus auf Trab halten wird: Ein großes, schweres Fass wird eines nebligen Morgens an der Hintertür der italienischen Botschaft angeliefert. Es gluckert darin und das Rätselraten, was es wohl enthalten wird, beginnt. Bald wird der Inhalt aufdeckt: nicht nur Olivenöl enthält das Fass, auch die Leiche eines Kardinals aus Rom, eines Kardinals, der vor nicht langer Zeit hier in Damaskus und weiter im Norden zu Besuch war. So Manches stimmt hier nicht: sollte ein Kardinal nicht zur vatikanischen Botschaft gebracht werden? Und warum trägt er seinen Kardinalsring nicht am rechten Zeigefinger sondern am linken Ringfinger? Das sind nur einige Fragen von vielen die sich noch stellen werden. Und über allem die Frage, die auch Kommissar Barudi sich wiederholt stellt: Warum wird ein Gast in seinem Land, der Gastrecht besitzt, so gnadenlos ermordet?
Was trieb den Kardinal an? Warum war er bei seinem Besuch in den Norden des Landes gereist? Ein seltenes Phänomen wollte er dort entdecken: einen muslimischen Wunderheiler, der Jesus verehrt.
Dieser Fall ist brisant, weil er grenzübergreifend Italien, Vatikanstadt und Syrien berührt. Es liegt nahe, dass ein italienischer Kommissar, Mancini, zur Aufklärung hinzugezogen wird. Wir erleben, wie sich eine wunderbare Freundschaft entwickelt zwischen diesen unterschiedlichen Männern, die sich perfekt in ihren Methoden, Interessen und Liebhabereien ergänzen. Meisterhaft lässt Schami in gewohnter Weise seine Figuren Konturen annehmen. Schami zeichnet ein perfektes Bild der syrischen Verhältnisse. Er lässt nichts aus, was zu deren Verständnis benötigt wird.
Wir erleben eine Polizeiarbeit, die nicht präziser und genauer sein könnte, es ist absolut genial, wie Barudi und Mancini vorgehen.

Der neue Roman "Die geheime Mission des Kardinals" ist ein Meisterwerk. Nicht nur ist es (auch) eine Liebesgeschichte, sondern eine Abrechnung mit dem Regime und den Verhältnissen in Syrien. Es ist Kommissar Barudi, der sich an diesen geheimnisvollen Fall machen muss. Wir kennen ihn bereits aus dem Roman „Die dunkle Seite der Liebe“. Die Ermittlungen gehen in alle Richtungen - nach Italien, in den syrischen Polizeiapparat und den Geheimdienst, über die politischen und religiösen Köpfe dieser Länder, Damaskus und den Norden. Barudi muss alles in Frage stellen, was er bisher meinte zu wissen. Er hat es mit vielen Geheimnissen zu tun, die all seine Erfahrungen eines langen Kriminalisten Lebens brauchen, um aufgedeckt zu werden. Und das kurz vor seiner verdienten Pension, auf die er sehnsüchtig wartet. Sehr aufschlussreich ist es, wie Schami uns ins Innere des Kommissars Barudi blicken lässt. In jedem zweiten Kapitel stellt er uns Aufzeichnungen aus seinem Tagebuch vor, die dazu beitragen, uns Einblicke in Barudis innere Gefühle und Befindlichkeiten zu geben. Auch Barudis Trauer über seine seit langem verstorbene Frau Basma und seine Einsamkeit vertraut er dem Tagebuch an und verarbeitet so all die erdrückenden Vorgänge in seiner Arbeit und seinem Leben . In diesen Tagebuchaufzeichnungen erfahren wir viel über die Verhältnisse in Syrien und Damaskus, über die vielen Kaffeehäuser und Restaurants, wo Barudi und Mancini viel Zeit zusammen verbringen und ihren Fall besprechen. Ihre Charaktere, Vorlieben und Abneigungen lassen uns verstehen, wie sie vorgehen werden. Beide haben gründliche und ausgeklügelte Pläne entwickelt, um Schnüffler abzuhängen, die ihre Nase in den Fall stecken wollen. Barudis Leben mit seinem Chef Suleiman, seinem Kollegen Schukri und seinen beiden Assistenten Ali und Nabil zeichnet uns ein weiteres Bild der syrischen Gesellschaft und dem Überbau der Gewalten, der sie sich beugen müssen.
Kommissar Barudi schreibt Tagebuch auf Rat seines Arztes, um sich zu erleichtern, weil er niemandem sonst Geheimnisse anvertrauen kann. Er ist ein Einzelgänger. Aber sogar sein Arzt und Freund möchte die Geheimnisse nicht wissen, da er sich selbst nicht sicher ist, ob er unter Folter schweigen könnte. Dies allein zeigt, in welcher Bedrängnis die Bürger Syriens 2010 schon vor Beginn des Krieges leben müssen.
Rafik Schami schreibt nicht allein, nein, er malt ein farbenfrohes Gemälde der Gesellschaft – der Menschen, der Restaurants und sit-outs, der appetitanregenden überaus vielfältigen orientalischen Gerichte, die so geliebt werden von den Damaszener*innen und Besuchern aus aller Welt. Dazu die Kannen mit Mokka, zubereitet mit Kardamom. Über allem liegt ein - wenn auch dünner jedoch spürbarer - Grauschleier, der viele Geheimnisse bedeckt. Die immer präsenten Restriktionen, die Ängste vor der Geheimpolizei, der lange Arm der Regierung, der sich jederzeit um ihre Bürger krallen kann – all das lässt ihre Stimmen leiser und ihre Sprache vorsichtiger werden.
Wie in allen seinen Romanen und Erzählungen genießen wir Spannung, umkleidet mit Poesie und erzählerischer Kunst. Jede Seite zu lesen ist ein Genuss. Jedes Gespräch zwischen Mancini und Barudi ist voller interessanter Wendungen, lebenskluger Beobachtungen, witziger Einfälle und großem Reichtum von Informationen. Wieder zeigt Rafik Schami welch berufener Geschichtenerzähler in der arabischen Tradition er ist. Schon der Einband lässt darauf schließen, dass wir uns auf verschlungenen Pfaden bewegen werden, so geheimnisvoll erscheinen die an Kalligraphie erinnernden Zeichen des Einbands. Der Titel, „Die geheime Mission des Kardinals“ lässt unendlich viele Deutungen zu. Auf diese Geschichte darf man sich freuen!