Ein literarischer Trostspender

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Mit "Die geheime Sehnsucht der Bücher" führt uns Bestsellerautorin Nina George zurück auf das Bücherschiff von Monsieur Perdu – und mitten hinein in eine feinfühlige Geschichte über Literatur, Freundschaft und die Kunst, das eigene Herz zu lesen.
Die 1973 geborene Autorin, bekannt durch Werke wie "Das Lavendelzimmer" und ihre Provence-Krimis (als Jean Bagnol), verwebt hier erneut ihre Liebe zu Büchern mit Themen wie Identität, Trauer, Lebenssinn und Mut zur Veränderung. Mit ihrer Vielseitigkeit – von erotischer Literatur bis zur literarischen Therapie – hat sich George nicht nur als Erfolgsautorin, sondern auch als leidenschaftliche Verfechterin der Literatur etabliert.

Worum geht’s genau?
Monsieur Perdu hat mit seinem Bücherschiff Lulu wieder in Paris angelegt. Gemeinsam mit der jungen, klugen und oft widersprüchlichen Pauline Lahbibi betreibt er die „Pharmacie Littéraire“ – eine Apotheke für seelische Leiden, in der Bücher als Medizin verschrieben werden. Als die zwölfjährige Françoise auftaucht – belesen, verletzlich und mit einem Geheimnis, das größer ist als sie selbst – wird das Leben an Bord tiefgreifend verändert. Gemeinsam kämpfen Perdu, Pauline und Françoise für die Freiheit der Literatur, gegen Zensur, für Selbstbestimmung – und für ein Leben, das mehr ist als Funktionieren.

Meine Meinung:
"Die geheime Sehnsucht der Bücher" hat mich überrascht – im besten Sinne. Um ehrlich zu sein hab ich eine leichte, melancholische Geschichte für Buchliebhaber:innen erwartet, doch schnell gemerkt, dass es das auf keinen Fall ist. Es handelt sich vielmehr um einen Roman, der poetisch und politisch, zärtlich und unbequem zugleich ist.

Die Stärke des Romans liegt in seinen Figuren, allen voran Pauline: kantig, emotional, voller Widersprüche. Sie wirkt gleichzeitig altklug und verletzlich, tough und voller Sehnsucht. Ihre direkte Art, gepaart mit tiefer Empathie, macht sie zu einer der ungewöhnlichsten literarischen Figuren, die ich in letzter Zeit gelesen habe. Ihre Beziehung zu Perdu ist humorvoll, weise, immer auf Augenhöhe:
»350 Kilometer auf dem Wasserweg, wenn wir durchfahren, zweiundzwanzig Stunden, aber ab Rouen brauchen wir einen Lotsen an Bord, den muss man vorbestellen.«»Wenn ich jetzt noch bitte wissen dürfte, was …« Sie hielt inne. »Honfleur«, sagte sie. »Du meinst die Strecken bis Honfleur.«»Kann sein.«»Was … was soll ich denn da?«»Um dein Herz kämpfen. Und seins.«»Der Zug ist abgefahren. Oder das Schiff, wie du meinst.«»Du hast echt keine Eier in der Hose, Lahbibi.«»Und dir steht Slang nicht, Perdu.«Er antwortete mit Schweigen. (E-Book, S. 241)

Die Dynamik zwischen den Figuren berührt, besonders die liebevolle Fürsorge, die Pauline für Marie zeigt, und die stille Stärke von Françoise, die mit zwölf schon eine Verantwortung trägt, die kein Kind schultern sollte. Eine Stelle, die mir lange im Kopf bleiben wird:
"Puh, das war ziemlich schön. So schön, dass es Françoise wehtat, da unterm Herz. Wahrscheinlich waren das Dehnungsstreifen der Seele. Wenn man mehr Platz brauchte für große Gefühle, dann tat Glück erst mal weh." (E-Book, S. 186)

Das Buch ist eine Liebeserklärung an die Literatur: „Ein Buch ist Mediziner und Medizin zugleich“ (E-Book, S. 166), so heißt es einmal, und so fühlt es sich auch an. Bücher heilen, fordern, begleiten – und verbinden. Ob mit literarischen Verweisen auf Mascha Kaléko oder das Buch-inspirierte Geburtstagsessen – es steckt so viel Wärme und Kreativität in diesen Seiten.

Doch der Roman ist nicht nur romantische Buchhommage, sondern stellt sich auch aktuellen Themen wie Rassismus, Care-Arbeit, weiblicher Selbstbestimmung und jugendlicher Überforderung. Der Ton wird mitunter ernst, fast politisch, ohne belehrend zu sein: „Menschen, die vor Büchern Angst haben, haben Angst vor Machtverlust.“ (E-Book, S. 180) Gleichzeitig überfrachtet der Roman meiner Meinung nach aber stellenweise seine Erzählung mit zu vielen Themen. Manchmal hätte ich mir mehr Ruhe, mehr Fokus gewünscht. Auch Paulines Liebesgeschichte mit Kofi konnte ich emotional nicht ganz nachvollziehen – sie wirkte auf mich forciert und unausgereift. Auch ein Wermutstropfen: Das Buch verwendet keine gendergerechte Sprache – gerade bei einem Roman, der Diversität und Emanzipation so zentral behandelt, fällt das unangenehm auf.

Dafür überzeugt Nina George mit vielen poetischen, lebensklugen Momenten. Besonders das Zitat hier hat mir wahrscheinlich auch aufgrund meines beruflichen Hintergrunds (Jugendsozialarbeiterin) aus der Seele gesprochen:
»Ich denke darüber nach, dass ich manchmal jungen Menschen, die viel zu sehr wissen, wo sie lang wollen, sagen möchte: Vergiss es. Mach Revolution, schreib peinliche Gedichte, tanz im Dunkeln, verliebe dich, verlieb dich noch mal, leg dich mit der Politik an, mach ’ne Rucksackreise per Anhalter, hilf am Wochenende mal in einer Tierstation oder lerne zu zeichnen, einfach nur so, nur so … ohne gleich damit endgültig was zu wollen. Mit der Revolution oder dem Verlieben.« (E-Book, S. 168)

Fazit:
Die geheime Sehnsucht der Bücher ist ein poetischer, kluger Roman über Literatur, Menschlichkeit und das Recht, sich selbst zu (er)finden. Er berührt, unterhält, regt zum Nachdenken an – und bleibt trotz kleiner Schwächen lange im Gedächtnis. Von mir gibt es dafür 3,5 von 5 Sternen.