Der Klang einer unvollendeten Liebe

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Was bleibt von einer stürmischen Liebe, die nur kurz währte? Im Falle von "Die Geschichte des Klangs" von Ben Shattuck sind es konservendosengroße, nach Bienenwachs duftende Zylinder. Diese findet Annie inmitten vieler anderer Hinterlassenschaften ihrem neugekauften Haus in Maine einem Versteck, was sie mit großer Neugier erfüllt. Bei den Zylindern handelt es sich nämlich um Wachswalzen für Phonographen, wie Annie nach einer Recherche herausfindet. Was diese Wachswalzen offenbaren, davon erzählt die erste Hälfte dieses aus zwei Teilen bestehenden Romans.
Denn diese Wachswalzen waren Teil des Jobs, den der junge Lionel zusammen mit dem Pianisten und lebenden Liederbuch David im Jahr 1916 versah. Damals wanderten die beiden jungen Männer durch das ländliche Maine, um auf diesen Wachswalzen traditionelles Liedgut zu sammeln.
Nicht nur diese Feldforschung, sondern auch eine unkomplizierte Affäre verband die Männer. Doch dann verschwand David plötzlich aus Lionels Leben und es bleibt eine unerklärliche Leerstelle, bis im zweiten Teil des Buchs viele Jahre später die Wachswalzen wieder auftauchen und so die lastende Stille der Unkenntnis beenden könnten.

"Die Geschichte des Klangs" erzählt von einem Amerika vor über hundert Jahren, in dem das traditionelle Liedgut und die Erinnerung an alte Songs und Mythen noch wachgehalten wurden. Ebenso erzählt das Buch aber auch von einer großen Liebe, die doch unvollendet bleiben musste.
Während Annie im zweiten Teil des Buchs in einer nicht sonderlich erfüllenden Beziehung mit ihrem Mann, einem Verhaltensbiologen, feststeckt, in der sich Wünsche und Träume nicht mehr erfüllen, gibt der erste Teil von Shattucks Roman eine Ahnung davon, wie Liebe auch sein kann.

Unaufgeregt und ruhig arbeitet sein Buch mit gespiegelten Motiven zwischen den beiden Erzählblöcken und erzählt von der Erinnerung und Spuren, die sich über den Tod hinaus erhalten und in anderen fortleben. Das ist anrührend gemacht und stößt für die kurze Strecke von gerade einmal einhundert, äußerst großzügig gesetzten Seiten in erstaunlich emotionale Tiefe vor. "Die Geschichte des Klangs" berührt, macht wehmütig und zeigt doch auch, welchen erzählerischen Reiz unvollendete Lieben haben können.