Zwei Erzählungen über verpasste Lebenschancen

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federfee Avatar

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Zwei lose miteinander verbundene, teils berichtsartige Geschichten über verpasste Liebe und Ziele im Leben

Erzählung 1
Lionel, in seinen Achtzigern, schreibt zur Überbrückung seiner Schlaflosigkeit seine Liebesgeschichte mit David auf. Sie lernten sich in einer Bar kennen und entdeckten ihr gemeinsames Interesse: die Musik, im besonderen Folksongs. Lionel hat das absolute Gehör und sieht Gestalt und Farbe in allen Tönen, David ist Komponist.
Er nimmt in Europa am Ersten Weltkrieg teil, aber Lionel denkt jeden Tag an ihn. Erst 1919 meldet sich David wieder und bittet Lionel, ihn bei einem Projekt zu begleiten. Sie streifen gemeinsam durch Wälder und Dörfer und machen Aufnahmen mit dem gerade erfundenen Phonographen: Balladen und Folksongs, die die Leute früher abends sangen, als es noch keine Fernseher oder andere Vergnügungen gab. Sie verbringen zwei wundervolle Sommermonate, doch am Ende wirkt David düster und verändert. Lionel erfährt erst später, warum. Sie trennen sich, wollen aber im nächsten Sommer wieder so eine Tour machen, doch dazu kommt es nicht mehr.
Lionel hat im weiteren Leben viele Beziehungen mit Männern und Frauen, schätzt sie aber im Nachhinein ‘nach dieser kurzen Flutwelle nur noch als Rinnsale ein’. David war seine große Liebe und er hat im Nachhinein das Gefühl, etwas im Leben verpasst zu haben.

Erzählung 2
Genau dieses Gefühl beschleicht auch Annie am Ende ihrer Geschichte. Sie hatte wegen eines Mannes ihr aussichtsreiches Studium abgebrochen und hat dann keine Perspektive mehr im Leben: keine Kinder, keinen Job, den sie liebt, kein Hobby, nichts. Durch Zufall findet sie im Haus, das sie möbliert übernommen haben und nach und nach ausräumen wollen, die Phonographen-Walzen von David. Annie kann die Verbindung herstellen, weil sie durch Zufall im Fernsehen die Geschichte von Lionel Worthings Musikinteresse gesehen hat. Sie schickt sie ihm und besucht auch die Vorbesitzerin des Hauses, von der sie mehr über eine Verbindung erfährt und mit der sie ein erhellendes Gespräch über die Liebe und das Leben führt. Dabei wird ihr klar, dass sie sich ‘beim Leben nur zusieht, anstatt es zu leben’. Kleinere Anzeichen deuten darauf hin, dass sie das ändern wird.

Fazit: Ein lebenskluges Büchlein, dessen zwei Erzählungen allerdings ein wenig distanziert bleiben und die mir streckenweise zu sehr als zusammenfassender Bericht angelegt waren. Die Sprache ist zumeist einfach mit einigen schönen Naturbildern wie z.B. ‘In den Bäumen zirpten die Zikaden und nähten die Nacht zusammen’ (10).