Alte Wunden und Freundschaften

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amara5 Avatar

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Kat und Easy waren in ihren Teenagerjahren in der Provinz-Kleinstadt Laustedt beste Freundinnen, ein Herz und eine Seele in den spannendsten Jahren des Heranwachsens. Dann kam es durch eine Liebe zum gleichen Mann Fripp und einem schmerzhaften Ereignis zum Freundschaftsbruch. Jahrzehnte haben sie nichts voneinander gehört, dann schlägt Easy ein Treffen auf Kreta in ihrem verfallenen Haus mit Blick aufs Meer vor. Ich-Erzählerin Kat, mittlerweile bekannte Lebensberatungs-Bloggerin stimmt widerwillig zu – die Frauen sind mittlerweile knapp über 60: Kann man eine alte Freundschaft trotz vergangener Verletzungen wieder aufleben lassen? Auf der griechischen Insel kommen sich Kat und Easy nach vorherigem Beäugen und Ausfragen mit viel Wein und Drogen wieder näher.

Die Autorin Susann Pásztor baut ihren Roman dabei geschickt komponiert in zwei Zeitebenen auf: das Jahr 1973 katapultiert den Leser atmosphärisch und authentisch in Kat und Easys formende Teenagerzeit: erste Lieben, Besuche im Jugendzentrum, Schwärmereien und Kämpfe für den gleichen Mann, der später bei einem Unfall tragisch ums Leben kam. Die Gegenwart gibt mit viel griechischem Flair die Sicht auf zwei Frauen im gleichen Haus frei, die sich in Gesprächen fragen, warum die Freundschaft damals zerbrach – alte, schmerzhafte Wunden und Neid tun sich auf, aber auch der Wunsch nach Nähe. Der raffinierte Clou an der Erzählung: unter dem Nickname Ich-wills-wissen schreibt Easy längere Nachrichten an Kat alias Mockingbird auf ihrem Blog, Unaussprechliches lässt sich in dieser Kommunikationsart leichter ins Rollen bringen und so wurde auch das Treffen auf Kreta angeleiert. Männerschwarm Easy beichtet im Mailwechsel, dass sie sich nie wahrhaftig auf Männer einlassen konnte – Kat gibt kluge Ratschläge zur Vergangenheitsbewältigung und alle Blogeinträge fließen in den Roman mitein.

„Easy hatte offenbar beschlossen, diese Angelegenheit auf meinem Blog auszutragen. Sie war gewissermaßen in mein Haus eingedrungen, und es war gut zu wissen, dass ich sie jederzeit rauswerfen konnte. Interessanterweise befand ich mich gleichzeitig in ihrem. (…)“ S. 77

Wie sich die Frauen einander umkreisen, ihre Vergangenheit, gewohnte Muster und Lebenswege reflektieren, bis sie an den unausgesprochenen Kern der Verletzung gelangen, ist bewegend und präzise mit viel menschlichem Gespür für fragile Innenwelten und unterschiedliche Wahrnehmungen eingefangen. Die Rückblenden in die 1970er-Jahre sind voller bunten Szenen mit Rockmusik, Drogen, Sehnsüchten und Herzschmerz. Die Gefühle der Mädchen und der Flair dieser Zeit in einer Kleinstadt sind wunderbar transportiert. Dass sich die Frauen nach fast 50 Jahren wieder versöhnen und über ihre quälenden Schuldgefühle reden können und einen Punkt für einen vertrauensvollen Neuanfang finden, ist zwar etwas märchenhaft und teils ohne psychologische Tiefe, aber sehr feinfühlig, unterhaltsam, humorvoll und berührend zugleich erzählt, ohne in den Kitsch abzurutschen. Ein kluges Buch mit originellen Protagonisten über menschliche Beziehungen und Freundschaften sowie ihre Brüche und Neuanfänge.