Sehnsucht nach Weite

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bobbi Avatar

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In ihrem schmalen Debütroman „Die Gräfin“ taucht die Autorin Irma Nelles tief in die Weiten und Gezeiten des nordfriesischen Wattenmeeres ein und beleuchtet sechs Tage im Leben der Hallig-Gräfin im Jahre 1944, als sie auf einen abgestürzten Piloten der englischen Luftwaffe und eine mutige Entscheidung trifft.

Abgeschieden und einsiedlerisch lebt die achtzigjährige Gräfin Diana von Reventlow-Criminil auf ihrem Gut auf der Hallig Südfall mit ihren Tieren, Hausangestellten und dem treuen Kutscher Maschmann – eines Tages schlägt ihr Hund Alarm und führt sie bei Ebbe auf das Watt. Sie findet den jungen, schwer verletzten englischen Piloten John und nimmt ihn bei sich auf. Während er gesundet, muss in diesen schwierigen Zeiten kurz vor Ende des Zweiten Weltkrieges noch seine abgestürzte Maschine in Sicherheit gebracht werden, denn das Bekanntwerden eines Feindkontakts könnte für alle Beteiligte dramatisch ausgehen. Der adrette und weltoffene Pilot und die Haustochter Meta kommen sich derweil immer näher, während die betagte Gräfin in Rückblicken in ihre eigene bewegte Vergangenheit und verpassten Möglichkeiten abgleitet.

Mit viel atmosphärischem Gespür für die nordfriesische Landschaft mit ihren Gezeiten, Stürmen und Jahreszeiten erschafft Irma Nelles ein sehr dichtes Bild von Land und Leuten. Sie streut Plattdeutsch in ihre Dialoge und zeichnet feinfühlig sowie flüssig den Tagesablauf der Protagonisten in sechs Kapiteln auf. Die innere Zerrissenheit der gebildeten Gräfin sowie ihre Naturverbundenheit und Drang zum Rückzug wird empathisch herausgearbeitet, während die anderen Charaktere etwas blass bleiben.

„Die Gräfin“ gibt einen kurzen, fiktiven Einblick in die historisch verbriefte und sagenumwobene Hallig-Gräfin sowie in die Sehnsüchte und Hoffnungen der kriegsgebeutelten Menschen abseits der zerbombten Großstädte auf der abgelegenen Hallig. Ein unterhaltsamer, kurzweilig-ruhig geschriebener Roman mit offenem Ende, dem etwas mehr Seiten und mehr Tiefgang in der Charakterentwicklung noch besser getan hätten.