Der Kampf der Frauen geht weiter!

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nancy0705 Avatar

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Hamburger Hafen, März 1911:
Die Ärztin Anne Fitzpatrick und die angehende Pädagogin Helene Curtius arbeiten in Deutschlands größten Auswandererhafen und kümmern sich dort um die durchreisenden Familien.
Doch als sich plötzlich unnatürliche Krankheiten und damit einhergehend Todesfälle, vor allem unter den Kindern, häufen, sind die beiden sofort alarmiert und vermuten Schlimmstes. Schnell steht fest, die Opfer wurden vergiftet und Kommissar Berthold Rheydt beginnt zu ermitteln.
Doch wer sollte ein Motiv haben diesen Menschen scheinbar wahllos zu schaden und besteht eventuell ein Zusammenhang zu einem anderem Fall, bei dem ein Zuhälter erschlagen und in dessen Wohnung ein Giftkoffer gefunden wurde?
Es steht fest, die Lösung wird nicht einfach werden, zumal der Fall die drei auch schnell persönlich involviert und bedroht.

Der zweite Band der Saga von Henrike Engel „Die Hafenärztin – Ein Leben für das Glück der Kinder“ schafft es nahtlos an den ersten Teil anzuknüpfen und genau so zu begeistern und zu überzeugen!

Die Art der Autorin zu Schreiben ist schlichtweg grandios. Sie beschreibt die Szenen und Charaktere so lebendig und authentisch, dass man den Eindruck bekommt, selbst vor Ort und ein Teil der Handlung zu sein.
Ihr Schreibstil ist elaboriert und dadurch super ansprechend, aber teils auch sehr anspruchsvoll. Viele verschachtelte Sätze - die man, zugebener Weise, manchmal zweimal lesen muss, um sie zu begreifen -, ein umfangreicher Wortschatz – mit einer Palette an Fach-, Fremd- und veralteten bzw. eher seltenen Wörtern.
Zudem passt die Sprache zu der Zeit und zu Hamburg, was die ganze Atmosphäre umso realistischer macht.

Wieder einmal super gefallen, hat mir die Handlung.
Wie schon der erste Teil, ist die Geschichte keinesfalls typisch für das Genre der historischen Romane. Neben den eher dezenten Liebesgeschichten geht es vielmehr erneut um einen mysteriösen Kriminalfall sowie weiterhin um den – zunehmend auch radikalisierten – Kampf der Frauen um Recht, Emanzipation, Anerkennung und Akzeptanz.
Henrike Engel zeigt dabei abermals ein Feingefühl für eine glaubhafte und kraftvolle, emotionale Darstellung der historischen Umstände, Entwicklungen und Szenen.

Super finde ich, endlich auch mal die verletzlichere, persönliche Seite der Ärztin Anne Fitzpatrick kennenzulernen.
Im ersten Band schien sie noch ziemlich unnahbar und unantastbar zu sein. Wohingegen sie jetzt auch ihre Verletzlichkeit offenbart.
Trotz dessen behält sie stets Haltung. Negativen und denunzierenden Kommentaren oder Verhaltensweisen ihrer selbst oder ihren Ansichten gegenüber steht sie selbstbewusst entgegen. Sie behält zu meist die Oberhand über die Situation. Zudem gibt sie nie auf und hält an ihrem Standpunkt und ihren Zielen fest. Ihre Stärke und ihr Kampfgeist sind einfach bewundernswert.

Ein weiterer positiver Aspekt ist Helenes Charakterentwicklung im Laufe der zwei Bücher. Im ersten Band ist sie noch recht naiv, unbedarft und abhängig von ihrem Elternhaus.
In diesem Band hingegen entwickelt auch sie immer mehr eine eigene, starke Persönlichkeit. Auch sie kämpft für sich und ihre Emanzipation, aber auch für die Rechte der anderen. Sie ist keinesfalls mehr blauäugig den gesellschaftlichen Umständen gegenüber, sondern viel mehr realistisch. Sie sieht die Probleme und Missstände und versucht dagegen anzukämpfen.

Ein kleiner Kritikpunkt ist für mich der Charakter von Kommissar Rheydt. Ich hatte das Gefühl, dass man sich bei seiner Geschichte im Kreis dreht und nicht wirklich vorankommt. Man erfährt nicht viel Neues von ihm, sondern immer und immer wieder das gleiche. Zwar scheint am Ende auch er endlich sich zu entwickeln und sich der Liebe zu öffnen, jedoch hätte ich mir hier viel eher eine Veränderung gewünscht. Allerdings hoffe ich hierfür auf den nächsten Band.
Nichtsdestotrotz ist er ein sehr sympathischer Zeitgenosse. Er zeigt wieder einmal wie fortschrittlich und weltoffen er doch ist. Er passt gut zu den zwei anderen Charakteren, auch wenn seine Geschichte bislang etwas blass bleibt.

Komisch fand ich auch die, an manchen Stellen mal mehr, mal weniger, angedeutete Dreiecksbeziehung. Der Kommissar und Anne scheinen stellenweise sehr voneinander angezogen, zum Ende entwickeln sich jedoch scheinbar Gefühle zwischen Helene und dem Kommissar. Und auch zwischen Anne und Helene scheint zwischenzeitlich eine Art Anziehung zu herrschen. Diese Gefühle empfand ich teils als etwas verworren.

Im Laufe der Geschichte werden einige neue Handlungsstränge eröffnet, welche zum Teil am Ende offenbleiben und somit ganz klar der Intention dienen, im nächsten Band aufgegriffen zu werden.
Dadurch bleibt es nicht nur bis zum Ende, sondern auch darüber hinaus spannend.
Ich für meinen Teil, freue mich bereits jetzt auf die Fortsetzung!

FAZIT

Eine grandiose Anknüpfung, die dem ersten Band in nichts nachsteht.
Spannung von der ersten bis zur letzten Seite, mit einigen unerwarteten Wendungen und Entdeckungen.
Das Ende ist so keinesfalls vorhersehbar. Ich mag es, wie man das ganze Buch über mit grübelt und eigene Theorien aufstellt und dann doch immer wieder überrascht wird.
Auch der Kampf der Frauenrechtsbewegung und der der Charaktere selbst um Anerkennung ist wieder einmal so authentisch, greifbar und emotional dargestellt.
Das Buch ist einfach absolut dynamisch, lebendig und schafft es beim Lesen, den/die Leser*in gedanklich und emotional in eine andere Zeit an einen anderen Ort zu katapultieren.
Auch, wenn es für mich hier und da minimal ein paar Anmerkungen gab, schmälert dies nicht den Gesamteindruck des Buches.
Für mich überzeugt Henrike Engel mal wieder in allen Maßen und somit ist auch der zweite Band der Hafenärztin eine absolut Empfehlung meinerseits!