Hafenschlächter

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lesefee23.05 Avatar

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„Was auch immer hier geschehen war, der Täter war mit äußerster Grausamkeit vorgegangen […]: so etwas hatten sie in Hamburg noch nicht gesehen.!“

„Die Hafenärztin. Ein Leben für die Freiheit der Frauen“ ist ein historischer Kriminalroman und der erste Band der Hafenärztin-Buchreihe von Henrike Engel. Er erschien am 03.01.2022 im Ullstein Verlag.
Hamburg, 1910: Dr. Anne Fitzpatrick kehrt in ihre Heimatstadt zurück, um sich für Frauen in Not einzusetzen. Gemeinsam mit dem Verein Frauenwohl eröffnet sie ein Frauenhaus im Hamburger Hafen. Während der Eröffnungsfeier werden jedoch zwei tote Frauen in unmittelbarer Nähe entdeckt. Die Morde scheinen sogar in Verbindung mit diesem zu stehen und während der Ermittlungen gerät schließlich auch Anne in Gefahr…

Leider muss ich zugeben, dass ich von diesem Roman etwas völlig anderes erwartet hatte. Der Klappentext ließ mich einen historischen Roman erwarten, der sich um die Rechte der Frauen dreht. Ich dachte, dass Anne Fitzpatrick und ihr Kampf für diese Rechte die zentrale Rolle spielen würde und wir sie auf ihrem Weg begleiten würden. Dieses trifft natürlich im weitesten Sinne auch zu, der Fokus der Handlung liegt aber definitiv auf den Ermittlungen der zwei Morde, nicht auf Anne selbst.
Die personale Erzählperspektive wechselt zwischen Anne Fitzpatrick, der Hafenärztin, Berthold Rheyd, dem Kommissar und Helene, der Pastorentochter, welche die erste Leiche findet.
Alle drei Protagonisten sind auf ihre Weise einzigartig und interessant. Sie sind individuell und definitiv Personen mit Ecken und Kanten, wodurch sie einem sehr schnell sympathisch werden.
Die junge Helene, die aus ihrem gutbürgerlichen und konservativen Leben ausbrechen und am liebsten studieren möchte, passt für mich allerdings am wenigsten in die Handlung hinein. Lange Zeit wirkte sie auf mich wie eine unnötige Figur, die lediglich als Füllstoff für die Geschichte dienen soll. Ihre Probleme und Wünsche sind an sich zwar gut dargestellt, ihre Entwicklung im Laufe des Romans ist sogar nahezu brillant, dennoch würde die Story wohl auch ohne sie gut funktionieren.
Auch Anne Fitzpatrick ist für mich eigentlich keine wirkliche Hauptfigur, obwohl sie laut Cover und Titel definitiv die zentrale Rolle spielen sollte. Deutlich wird während der Ermittlungen sowie durch ihre eigenen Gedanken und Sorgen, dass sie ein Geheimnis verbirgt und dieses um jeden Preis schützen will. Was genau sie verheimlicht, bleibt aber auch am Romanende noch unklar. Die romantische Verbindung, die sich schließlich zu Kommissar Rheyd aufzubauen scheint, wäre für mich ebenfalls nicht notwendig gewesen und passt auch eigentlich nicht wirklich in die Handlung.
Die Hauptrolle im Roman spielt für mich also eindeutig Berthold Rheyd, der Kommissar. Die gesamte Handlung baut sich auf seinen Ermittlungen sowie auf dem Rätsel um die toten Frauen und Annes Verbindung dazu auf. Die Auflösung der Morde und die damit verbundene Spannung gefiel mir auch tatsächlich sehr gut. Interessant fand ich, dass immer wieder forensische Arbeitsmethoden der Ermittlung beschrieben werden und bin überrascht, wie weit die Kriminaltechnik damals schon war!
Durch die viele Perspektivwechsel und zu viele einzelnstehende Erzählstränge plätscherte die Handlung allerdings leider an vielen Stellen nur so vor sich hin. Nebenhandlungen werden aufgeworfen und wieder fallen gelassen, streckenweise geschieht nicht viel Relevantes für die eigentliche Geschichte. Lediglich zum Romanbeginn sowie am Ende wurde ich regelrecht in die Handlung eingesogen. Gerade zum Abschluss überschlagen sich die Ereignisse plötzlich, die Erzählstränge verknüpfen sich endlich besser miteinander und wirken nicht mehr so voneinander losgelöst. Leider löst sich dann aber auch alles sehr abrupt auf, hier hätte man sicherlich noch mehr herausholen können.
Insgesamt muss ich daher also sagen, dass sich der Roman sehr leicht liest, atmosphärisch geschrieben und in Teilen auch definitiv spannend ist, er mich aber einfach nicht recht überzeugen konnte. Die Handlung ist solide, die Themen grundsätzlich interessant, dann aber zu oberflächlich beschrieben, als dass sie begeistern könnten. Zudem waren drei Protagonisten für mich mindestens einer zu viel und Klappentext und Buchtitel absolut irreführend.

Mein Fazit: Ein netter und solider historischer Kriminalroman, der definitiv mehr Potential gehabt hätte. Ich bin ein wenig enttäuscht und vergebe daher nur 3 von 5 Sternen. Ob ich die Buchreihe weiterlesen werde, weich ich tatsächlich noch nicht.