Spannung zwischen Frauenbewegung und Spurensuche

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Am frühen Morgen des 2. Januars 1910 läuft ein Schiff in den Hamburger Hafen ein, an Bord: Anne Fitzpatrick, eine junge Ärztin die Hals über Kopf London verlassen musste und nun zurück in ihre alte Heimat kehrt, die sie vor langer Zeit ebenfalls überstürzt verlassen musste.

Geheimnisvoll dabei, Annes richtiger Nachname, der bis zum Schluss des Buches im verborgenen bleibt, ebenso der Grund, warum Anne London verlassen musste. Ganz freiwillig scheint dieser Abgang nicht zu sein.
Denn in London hatte sie ein Leben, Freunde und Chancen - Chancen welche im kaiserlichen Hamburg des 19 Jahrhunderts für eine Frau nur sehr spärlich sind.

Um in Hamburg nicht erkannt zu werden, verabschiedet sich Anne ganz von ihrem privilegierten Leben, sie nimmt sich eine karge Wohnung und Arbeitet im Hamburger Hafen, bei einer Frauenbewegung die sich vor allem um die Frauen und Kinder der Arbeiterschicht bemüht.

Ihr großes Ziel dabei: ein neue Frauenhaus (das Grüne Haus), direkt im Elend, zu errichten.

Dieser Traum scheint ein jähes Ende zu nehmen, als direkt neben dem Grünen Haus die Leiche einer Frau entdeckt wird.

Während die Polizei, unter Leitung von Kommissar Berthold Rheydt, die Ermittlungen aufnimmt kreuzen sich die Wege von Anne und Helene Curtius, einer junge Frau Anfang 20, die ebenfalls aus gutem Hause kommt. Allerdings unter der Autorität ihres Vaters und der Mutlosigkeit der Mutter leidet.
Helene will mehr aus ihrem Leben machen, als früh zu Heiraten, Kinder zu bekommen und auf Feste zu gehen.

In Anne findet sie eine Frau, der sie nacheifern will, die sie Inspiriert und antreibt, auch wenn sie ahnt, dass Anne ein Geheimnis hat.


Die Hafenärztin von Henrike Engel ist ein sehr vielschichtiger Roman. Im Vordergrund stehen die starken Frauen des 19 Jahrhunderts, allen voran Anne Fitzpatrik, eine der ersten Ärztin in Deutschland. Sowie die Frauenbewegung, die sich für die Rechte der Frauen stark machen, ganz in Anlehnung an die Suffragetten in England.
Aber es ist auch ein Kriminalroman, denn schließlich gibt es mehrere Morde die aufgeklärt werden müssen und für Kommissar Rheydt ist klar, alles hängt mit Anne zusammen.
Der Roman behandelt aber auch das Leben im 19 Jahrhundert, der Politik der Reichen und der Machtlosigkeit derer, die etwas ändern wollen. Die Entwicklung des Fußballs, bei dem Anfangs die Klasse mehr ausmachte als das Talent.
Beeindruckend stellt die Autorin da, wie mühsam das Leben junger Frauen waren, auch das der Privilegierteren, die komplett auf das wohl wollen der Väter/ Männer angewiesen waren.

So behandelt dieser spannende Roman so viele unterschiedliche Facetten.

Was mir besonders gut gefallen hat, ist das Geheimnis um Anne. Die Autorin deutet zwar immer wieder an, was der Grund des plötzlichen Aufbruchs aus London sein könnte, formuliert dies aber nicht aus.
Ebenso mysteriös und bis zum Schluss unaufgeklärt bleibt die Frage nach Annes Familiengeschichte. Was hat ihren Vater, vormals ein großer Reeder, dazu bewogen aus Hamburg zu fliehen?

Ich habe es genossen in die Geschichte einzutauchen, die Figuren und ihre Geschichten kennenzulernen und ihren Weg, gerade den von Helene zu verfolgen.

Henrike Engel schreibt flüssig und bildhaft. Durch ihre unterschiedlichen Figuren und unterschiedlichen Handlungen schafft sie viel Spannung und Raum, auf das Leben im 19 Jahrhundert einzugehen.

Für besondere Spannung sorgt dabei der Krimi-Faktor, wer ist der Mörder, ist es wirklich ein bekannter Serienmörder des 19 Jahrhunderts, der Anne aus London gefolgt ist?

Einziger Wermutstropfen, vom medizinischen Aspekt, den ich mir auf Grund des Buchtitels versprochen hatte, erfährt man im Buch recht wenig, denn wirklich tätig wird die Hafenärztin nicht. Die Gewichtung in diesem Band liegt eher bei Helene.

Dennoch habe ich mich sehr gut unterhalten gefühlt, ich war mitgerissen und habe mit ermittelt und mit den Frauen mitgefiebert.
Ich freue mich auf den 2. Band, der im Juni 2022 erscheinen soll.