Ein historischer Qualitätsroman!

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Marta Kristine Andersdatter Nesje ist der Name der Ururgroßmutter des norwegischen Schriftstellers Edvard Hoem, sie verbrachte fast ihr ganzes Leben am Romsdalsfjord in Norwegen und wirkte 50 Jahre lang in ihrem Beruf als Hebamme.
Sie ist die Hauptperson seines historischen Romans, der die Lebenswirklichkeit der Menschen in einer der urspünglichsten Gegenden Norwegens im 19. Jahrhundert präzise darzustellen vermag. Auch die weiteren Personen in ihrem Leben, ihre Eltern, Wegbegleiter auf ihrem Weg und ihre spätere Familie werden lebensnah dargestellt. Gestützt auf historische Dokumente wie beispielsweise Kirchenbücher und Gerichtsakten, jedoch zutiefst menschlich nacherzählt mit tiefem Blick in die Familiengeschichte, entsteht ein bewegender Einblick in das Leben der einfachen, naturverbundenen Bevölkerung am Rande des Fjords. Wie ein roter Faden führt die Willensstärke und der Mut der Marta Kristine durch den Roman, beginnend in ihrem 7. Lebensjahr über die Zeit ihrer Ausbildung, die Gründung der eigenen Familie und ihre ersten Einsätze als Hebamme, ihre Weiterentwicklung im Laufe des Lebens, begleitet von Rückschlägen und harter Arbeit, bis in ihr hohes Alter.
Dabei erweist sich Edvard Hoem nicht nur als geduldiger Chronist der Familiengeschichte, sondern auch als spannungsreicher Erzähler der Geschichte Norwegens im 19. Jahrhundert, der den naturgemäß entscheidenden Einfluss auf diese eindrucksvoll dargestellt hat. Edvard Hoem ist einer der bekanntesten zeitgenössischen Schriftsteller Norwegens, der auch als Shakespeare Übersetzter und Theaterregisseur arbeitet. In Deutschland veröffentlichte er unter anderem schon einen Roman zu seiner Familiengeschichte, „Die Geschichte von Mutter und Vater“, in dem er sich der Geschichte seiner Eltern widmete.
Wichtige Wegweiser auf dem Lebensweg der Marta Kristine sind die Wanderschule, die Persönlichkeit des Pfarrers und die späteren Ausbildungsstätten für Hebammen in Molde und Christiania, jetzt Oslo, aber auch ihre Begegnungen mit den Menschen, die sich ihr schon einprägen, als sie eine Zeit lang mit dem Vater, dem Schuhmacher, unterwegs sein darf, wenn er seine Dienste anbietet. Dies ist entscheidend für ihre Menschenkenntnis und ihren späteren beruflichen Umgang mit den werdenden Müttern und Vätern.
Die Kirche ist zu dieser Zeit nicht nur Zentrum des Glaubens, sondern auch die wöchentliche Zusammenkunft der zum Teil weit verstreut lebenden Einwohner des Fjordes, und so die Möglichkeit zu Austausch und Anregung und nicht nur zur Verkündigung des Wortes Gottes, sondern auch amtlicher Ankündigungen, wie zum Beispiel die Bestimmung der Marta Kristine als Bezirkshebamme.
Man lernt im Laufe des Romans nicht nur die insgesamt harten Lebensverhältnisse in der rauen Fjordlandschaft kennen, in der Boote oft das einzige Verkehrsmittel zu entlegenen Gehöften sind, sondern auch die inneren, oft schweren Kämpfe der Protagonisten, die ihr Fortkommen begleiten, und gleichsam ein Spiegel der harten Lebenswirklichkeit abbilden.
Ein weiterer historisch relevanter Aspekt im Lebensgang der Hebamme ist die Weiterentwicklung der Medizin gerade durch Persönlichkeiten wie die Hauptperson des Romans, Marta Kristine, die fundiertes Wissen aus der sich entwickelnden Geburtshilfe und Medizin an diesen entlegenen Ort bringt, wo bisher nur ungelernte Geburtshelferinnen mehr schlecht als recht die Geburten begleiten und die Frauen betreuen konnten. Das wird besonders deutlich, als sie ihre Tätigkeit erst beginnt und das Vertrauen der Bevölkerung gewinnen muss, obwohl sie selbst eine von ihnen ist.
Nicht nur ihre Persönlichkeit, sondern auch die weiteren wichtigen Personen in ihrem Leben, ihre Eltern, ihr Ehemann und ihre späteren Kinder, Verwandte und Wegbegleiter werden so facettenreich geschildert, dass sie lebendige Menschen werden, in deren Ängste, Gedanken und Zweifel man sich auch als heutiger Mensch hineindenken kann und ihren täglichen Kampf mit den Gegebenheiten der Zeit gut nachvollziehen kann.
Gestützt wird dies alles durch die hervorragend geschilderten Szenen aus beispielsweise Gerichtsverhandlungen, Unterredungen oder einer Auktion, unter Erwähnung historischer Dokumente, und durch die hautnah miterlebten Begegnungen zwischen den Menschen auf dem Lebensweg der Marta Kristine.
Auch die psychologischen Aspekte bleiben nicht oberflächlich, sondern werden zutiefst nachvollziehbar geschildert, so dass man nah an den Personen bleibt.
Der Roman bildet so ein spannendes Leben voller Entbehrung, aber auch voller Willenskraft und Stärke einer besonderen Frau ab. Er ist detailreich und spannend geschrieben und weckt von Anfang an die Neugier auf den weiteren Lebensweg der späteren Hebamme. Die gute historische Recherche ist die Voraussetzung für die authentische Darstellung, und dennoch fehlt es nicht an Wärme, die durch den starken Familienzusammenhalt und die inneren Einsichten in das Denken der Personen in jeder Lebenslage zum Ausdruck kommt.
Fazit: Ein absolut lohnendes, historisches Leseerlebnis, das nie an der Oberfläche bleibt und jeder historischen Analyse gewiss standhalten wird.