Darstellung des Lebens der Uta von Naumburg

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„Die Herrin der Kathedrale“ von Nadja und Claudia Beinert, TB: Taschenbuch: 768 Seiten, Verlag: Knaur TB (1. November 2013)

Ballenstedt (im heutigen Sachsen-Anhalt), Anfang des 11. Jh: Graf Adalbert von Ballenstedt, verarmter Burgherr, lädt zum großen Bankett samt Jagdausflug. Seine 12jährige Tochter Uta genießt das Fest, bis sie mit einem Knappen in eine verfängliche Situation gerät, vom Vater und seiner Jagdgesellschaft „auf frischer Tat“ ertappt und vom Vater daraufhin fast zu Tode geprügelt wird. Nur mit Hilfe ihrer Mutter Hidda gelingt ihr die Flucht ins Kloster Gernrode. Als Uta kurz darauf nach Ballenstedt zurückkehrt, um ihre Mutter von ihrer Unschuld zu überzeugen, erwartet sie ein Schock: Hidda ist auf mysteriöse Weise ums Leben gekommen.

Nach anfänglichen Eingewöhnungsschwierigkeiten im Kloster verfeinert Uta ihre Lese- und Schreibfähigkeiten und lernt das Bibliothekswesen. Sie strebt nach Gerechtigkeit, um den Tod ihrer Mutter sühnen zu können, und setzt ihr ganzes Streben und Können dafür ein, den Mörder ihrer Mutter anklagen und beweiskräftig verurteilen lassen zu können. Auf einem Hoftag wird die spätere Kaiserin Gisela auf sie aufmerksam und stellt sie als ihre Hofdame ein. Uta reist mit dem Tross durch die Lande und reift heran. Sie ist schon über 20 Jahre alt, da verheiratet sie die Kaiserin mit dem jüngeren Bruder Hermanns von Naumburg, des Markgrafen von Meißen, Ekkehard, doch die Ehe ist nicht glücklich.

Uta erweist sich als tüchtige Burgherrin, das Eheleben und die Lieblosigkeit ihres Mannes erträgt Uta, ist Ekkehard doch die meiste Zeit in Kämpfen für den Kaiser abwesend. Einziger Wermutstropfen ist ihre Kinderlosigkeit. Bis eines Tages der Traum des Markgrafen Hermann wahr wird: In zehn Jahren soll er in Naumburg eine Kathedrale bauen, zu Ehren des Kaiserpaars und für den Seelenfrieden der tapferen Kämpfer. Uta bekommt immer mehr Aufgaben und ist zunehmend in den Bau mit eingebunden – sie ist die Herrin der Kathedrale und wird von allen Handwerkern und Meistern bewundert und respektiert.

In dem Maße, wie das Wunderwerk voranschreitet, sinnen Utas Feinde auf Sabotage des Baus, und auch andere Zeitgenossen haben ein Interesse daran, dass diese Kathedrale nie fertig wird. Durch Intrigen und Sabotageakte passieren mehrere Unglücke und Uta muss mit heftigen Schicksalsschlägen fertig werden. Nur die Kaiserin kann sie überzeugen mit dem Bau fortzufahren. Den Tag der Kathedralweihe und die Anwesenheit des Kaiserpaars will Uta nutzen, um den Mörder ihrer Mutter seiner gerechten Strafe zuzuführen.

Wunderbarer, dichter und voll gepackter historischer Roman mit großartigen Charakteren und echter mittelalterlicher Atmosphäre! Der gehobene Schreibstil, die Sätze jedoch nicht kompliziert verschachtelt, ohne künstliche Mittelalter-Begriffe oder übertrieben derbe Sprache verwendend, macht den Roman zu einem wunderbaren Lesevergnügen. Sehr wohltuend ist, dass die Autorinnen weitgehend auf reißerische und sensationslüsterne Handlungen am Fließband, wie z.B. alle paar Seiten Vergewaltigungen, Plünderungen, blutige Gemetzel, Entführungen, Raubüberfälle, etc., wie man sie oft aus pseudo-historischen Roman kennt, verzichten. Auch wenn einige aufregende Dinge passieren, kommen sie doch fast gänzlich ohne diese Effekte aus, sie erzählen die Geschichte flüssig und chronologisch und setzen ganz auf ihre starken Charaktere, allen voran Uta. Natürlich bieten die wenig bekannten Fakten der echten Uta viel Raum für Kreativität, und dies nutzen die Autorinnen auch weidlich aus. Nichtsdestotrotz gelingt es ihnen, eine Figur zu erschaffen, die in den historischen Kontext vollauf eingebettet und ein Kind ihrer Zeit ist, und die Stationen ihres Lebens könnten sich durchaus so abgespielt haben. Auch die anderen Charaktere bis hin zur kleinsten „Nebenrolle“ sind gut herausgearbeitet, und dadurch wirkt die Geschichte rund und authentisch.

Das Buch selbst kommt mit sehr schön gestaltetem und edlem Cover daher. Es wirkt auf den ersten Blick gar nicht so dick, hat aber knapp 770 Seiten, denn diese bestehen aus sehr dünnem Papier. Sehr hilfreich sind das Personenregister und das Inhaltsverzeichnis, das in seiner Wortwahl an einen Bau erinnert („Basis für die Standhaftigkeit“, „Stützen, die tragen und verbinden“). Zudem geben die Autorinnen am Ende eine kurze Erläuterung zu den historischen Fakten und wie sie mit Quellen und ihrer eigenen Kreativität umgegangen sind. Dass sie vom Mittelalter und besonders von Uta fasziniert sind, merkt man mit jedem Wort, und ein Besuch der Internetseite der sehr sympathischen Autorinnen lohnt sich in diesem Zusammenhang ebenfalls!

Es ist sicherlich kein Buch, das man einfach so herunter liest, denn auch wenn es in vier Teile und insgesamt 13 Kapitel übersichtlich gegliedert ist und chronologisch erzählt wird, kommen zum Einen während der einzelnen Kapitel durchaus größere Zeitsprünge vor, bei denen dem Leser erst wieder klar werden muss, wie viel Zeit nun vergangen ist. Zum Anderen wird es besonders ab dem 3. Teil, wenn Uta ganz im Bau der Kathedrale aufgeht, mitunter technisch-kompliziert. Der Leser muss sich grundsätzlich an viele Zitate aus Werken der damaligen Zeit gewöhnen und erhält dafür tiefe Einblicke in Pflanzen- und Heilkunde, in das Rechtssystem der damaligen Zeit, in Politik und die Kämpfe um das Reich sowie in Statik und mittelalterlicher Architektur.

Die interessanteste Figur und Hauptperson ist natürlich Uta von Naumburg, von deren Schönheit heute noch viele Menschen fasziniert sind und sich fragen, wie sie zur Stifterfigur hatte werden können und wie sie gelebt hat. Ob sie wirklich so aktiv am Bau beteiligt war, sei dahingestellt, Fakt ist, dass die Autorinnen aus ihr einen lebendigen Menschen machen. Die Uta des Romans ist eindeutig ein Kind ihrer Zeit. Für ihren Vater und ihren Bruder sind Frauen minderwertige Geschöpfe, die keinen Geist und keine Intelligenz besitzen und nur zum Kinderkriegen taugen, und so schenkt der Vater ihr und ihrer kleinen Schwester Hazecha auch keine große Beachtung, außer wenn er ihren Gehorsam und ihre Sittsamkeit in Frage stellt. Frei entfalten können sich die Frauen nur, wenn sie im Kloster die Möglichkeit erhalten, ihre Fähigkeiten weiter zu entwickeln. Das Kaiserpaar Konrad und Gisela mutet da schon sehr modern an, ist doch Gisela die wichtigste Beraterin ihres Gatten.

Uta wird – auch im Kloster Gernrode als Sanctimoniale – dazu erzogen, eine gute Ehefrau zu sein und dem adligen Gatten den Haushalt / die Burg zu führen. Uta stellt die Weltordnung auch gar nicht in Frage, sie ist gottesfürchtig, oftmals voller Selbstzweifel, ordnet sich ihrem Mann und Vormund unter, kommt ihren ehelichen Pflichten nach und begehrt nicht auf ob der ungerechten Behandlung durch ihren Bruder und ihren Ehemann. Trotzdem will sie so viel wie möglich lernen, um ihrer Mutter Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Umso wichtiger für Utas Entwicklung ist ihre Zeit bei Kaiserin Gisela, die mit ihrem Selbstbewusstsein und ihrem scharfen Verstand so gar nicht dem Idealbild der Gattin entspricht und vielen Zeitgenossen, besonders Geistlichen, ein Dorn im Auge ist.

Utas Selbstbewusstsein ist nicht sonderlich ausgeprägt, nur allzu leicht lässt sie sich einschüchtern und verunsichern. Allen voran von ihrem Bruder Esiko, der sie und ihre Schwester am liebsten vor sich im Staub sähe, und auch durch ihren Ehemann Ekkehard. Dieser wiederum ist aber ein eher schwacher Charakter und lässt sich leicht beeinflussen. So können ihn Utas Feinde von ihrer Sünde ebenso überzeugen wie sein Bruder Hermann vom Gegenteil. Durch ihn und das Vertrauen und die Unterstützung der Kaiserin findet Uta aber immer wieder aufs Neue den Mut weiterzumachen, und sie erhält ebenso wertvolle moralische Unterstützung von ihrer Freundin Erna und ihrem Kammermädchen Katrina sowie fachliche Hilfe durch Wipo, dem Kaplan ihres Feindes, des Erzbischofs von Mainz.

Fazit: Eine packende, bis in die Nebenfiguren hervorragend herausgearbeitete Geschichte über eine Frau, die bis in die heutige Zeit fasziniert. Uta wird hier nicht nur zur Stifterin, sondern zur Gestalterin der Kathedrale von Naumburg, sie arbeitet aktiv an ihr mit und trägt wesentlich an ihrer Fertigstellung bei. Mehr noch als ihre Schönheit wird ihr vielschichtiger Charakter hervorgehoben, ihre Vielseitigkeit, ihre Intelligenz und schnelle Auffassungsgabe, ihre Begabung für das Schreiben und Bauzeichnen, ihr Fleiß und ihren Aufopferungsbereitschaft für ihren großen Traum. Der Schluss ist in meinen Augen zwar als „Happy End“ durchaus romantisch, aber dennoch auch ein wenig unglaubwürdig (das möge jeder selber lesen und beurteilen). Alles in allem ein wunderbarer historischer Roman, der sich durch seine Authentizität wohltuend aus der Masse der kommerziellen Historienschmöker heraushebt und das Leben der Uta von Naumburg überzeugend darstellt.