Bereichernde Unterhaltung

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angie99 Avatar

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Die Inhaltsbeschreibung von „Die Hoffnung der Chani Kaufman“ hatte mir sehr zugesagt, allerdings kannte ich das Vorgängerbuch („Die Hochzeit der Chani Kaufman“) noch nicht und beschloss, zuerst jenes zu lesen: das war die richtige Entscheidung, die ich hiermit nur weiterempfehlen kann!
Denn obwohl „Die Hoffnung der Chani Kaufman“ auch als Stand-Alone funktioniert, sind sich die beiden Roman vom Stil her so ähnlich, dass gilt: wem der zweite Band gefällt, der wird auch den ersten lesen wollen, und da ist es umgedreht doch sinnvoller!

In beiden Büchern steht die in eine jüdisch-orthodoxe Gemeinde hineingeborene Chani im Mittelpunkt des Geschehens. „Die Hoffnung…“ setzt rund ein Jahr nach der „Hochzeit“ an, was ich schade finde, denn gerade Chanis und Baruchs erste Schritte im Eheleben hin zu der erst noch wachsen müssenden Liebe zueinander hätte ich allzu gerne verfolgt (zumal dies im ersten Buch quasi angeteasert wird). Doch Eve Harris Bücher setzen weniger auf Tiefenpsychologie als mehr auf die Dynamik von Dilemmata und so ist es hier der ausbleibende Kindersegen, der die Geschichte in Gang bringt.

In einem zweiten Erzählstrang verfolgen wir, wie es mit den bereits bekannten Figuren Rivka und Avromi weitergeht. Beide hadern auf ihre Art und Weise mit den starren Vorschriften der Religionsgemeinschaft: die von ihrem Mann getrenntlebende Rivka in London, ihr in Ungnade gefallener Sohn Avromi in einer Jeschiwa in Jerusalem.
Sie alle müssen ihren eigenen Weg durch den Dschungel an jüdischen Traditionen und Riten bzw. daraus hinaus finden und der Autorin gelingt es, diese unterschiedlichen Wege nachvollziehbar aufzuzeigen. Sie spart dabei nicht mit Kritik an einem männergemachten und teilweise absurd wirkenden System, verfällt dabei aber nicht in eine plumpe Schwarz-Weiß-Zeichnung, sondern ringt auch dem Leben in der jüdisch-orthodoxen Gemeinschaft ihre positiven Seiten ab: Stabilität, Zusammenhalt, Lebenssinn, Gastfreundschaft, überschwängliche Feierlichkeiten.

Hier liegt auch genau die Faszination dieser Bücher: wir bekommen einen Blick hinter Türen, die Nichtjuden normalerweise verborgen bleiben. Wir erhalten Einblick in eine Parallelwelt, die geographisch teilweise sehr nah und kulturell doch gefühlte Jahrhunderte weit entfernt liegt.
Die jüdischen Sitten und Eigenheiten fließen so selbstverständlich in den Text ein, dass die kulturelle Schwelle sehr niedrig bleibt, die jiddischen Begriffe werden in einem Glossar erklärt, das man am Ende kaum mehr braucht. Verwundert stellt man an dieser Stelle fest, wie viel man durch diese Lektüre über das Judentum gelernt hat, ohne es zu merken. Denn die „Chani Kaufman“-Bücher sind in erster Linie Unterhaltung und kommen trotz einiger nicht gerade einfacher Themen mit einer bewundernswerten Leichtigkeit daher.
Manches bleibt dadurch – wie bereits angedeutet – etwas oberflächlich: Chani beispielsweise wirkt in diesem Buch blass und streckenweise sogar unsympathisch, mit Baruchs Mutter Mrs Levy gibt es die bereits bekannten und leider ziemlich klischeehaften Zickereien und die Gespräche mit der Heiratsvermittlerin Mrs Gelbman verkommen zu Karikaturen.

Trotzdem überwiegen die positiven Eindrücke einer liebevollen und gleichzeitig lehrreichen Lektüre – falls es irgendwann eine weitere Fortsetzung gäbe, ich würde sie lesen!