Gelungene Fortsetzung über Menschen einer jüdisch-orthodoxen Gemeinde – wie aus einer anderen Welt

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lia48 Avatar

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INHALT:
Chani ist mit ihrem Ehemann Baruch nach der Hochzeit nach Jerusalem gezogen. Baruch studiert dort an der Tora-Schule, um später Rabbi zu werden, während seine Frau im Blumenladen arbeitet.
Eigentlich sind sie mit ihrem Leben zufrieden. Aber eine Sache macht Chani sehr zu schaffen. Schon seit 8 Monaten versuchen Baruch und sie schwanger zu werden, so wie die Tora es verlangt: "Seid fruchtbar und mehret euch." Doch bisher ohne Erfolg.
Immer wieder fragen die Leute, ob es frohe Neuigkeiten gibt. Und der Anblick schwangerer Frauen setzt Chani ebenfalls zu.
Sie bekommt es mit der Angst zu tun, kann seit Monaten kaum noch essen oder schlafen. Denn ihr ist bewusst, dass ihr Ehemann sie jederzeit verlassen kann, wenn sie ihm kein Kind schenkt - so sind die Regeln ihrer jüdisch-orthodoxen Gemeinde in Golders Green.
"Wessen Körper wohl schuld war?" Was hat sie nur falsch gemacht? Es muss an ihr liegen. "Sie musste so abscheulich gesündigt haben, dass HaSchem sie unfruchtbar gemacht hatte. (...) War es wegen irgendeines spirituellen Irrtums, der ihr unterlaufen war?"
Ihre Schwiegermutter sieht sich darin bestätigt, dass ihr Sohn die falsche Frau geheiratet hat.
"(...) wenn er ein großer Rabbi werden soll, dann muss er Kinder haben! So steht es in der Tora. Ein Mann muss Kinder haben, es ist seine Pflicht, HaSchem zu gehorchen, und warum sollte irgendwer einen Rabbi ohne eigene Kinder respektieren?"
"Wenn sie ihm keine Kinder schenken kann, dann müssen sie sich scheiden lassen, und das schnell - damit er eine andere findet, die das kann!"
Dennoch übernehmen Baruchs Eltern die Kosten für Behandlungen in einer Londoner Fruchtbarkeitsklinik, stellen dem jungen Ehepaar jedoch ein Ultimatum von 6 Monaten. Die Zeit drängt ...

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MEINUNG:
Das vorherige Buch "Die Hochzeit der Chani Kaufman" war vor einigen Jahren meine erste Lektüre, die das Leben und den Glauben von jüdisch-orthodoxen Menschen thematisiert.
Ich war damals erstaunt und manchmal auch schockiert von ihren strengen Regeln und der "eigenen kleinen Welt" – sie wirkten etwas wie aus der Zeit gefallen.
Das ist es auch, was mich weiterhin an der Thematik interessiert.
Nun habe ich mich dem Fortsetzungsroman gewidmet, für den man die Vorgeschichte nicht unbedingt kennen muss – ich würde trotzdem empfehlen, sie ebenfalls zu lesen, denn sie ist sehr eindrücklich!
Jedenfalls erging es mir nun mit "Die Hoffnung der Chani Kaufman" ähnlich, wie mit dem Vorgänger.
In diesem Buch wird die Geschichte von Chani und ihrem Ehemann Baruch fortgesetzt. Aber auch Figuren wie Chanis Mutter und Schwiegermuttter, sowie die Rebbetzin mit ihrer Familie begegnet man wieder. Dies hat mir gut gefallen, denn so werden auch deren Geschichten weitererzählt.
Inhaltlich widmet sich der Roman Themen wie einem (unerfüllter) Kinderwunsch, dem Umgang mit religiösen Geboten und Ritualen, der Selbstfindung in Sachen Glaube/ Religion, und dem Leben von "Aussteigern" und deren Angehörigen.

Von Anfang an war ich mitten in der Lektüre. Man findet schnell in die Geschichte hinein, auch wenn man das vorherige Buch nicht mehr komplett präsent hat.
Auf mich wirkte die Geschichte erneut sehr authentisch und ehrlich, wodurch ich mich mit großem Interesse habe mitreißen lassen.
Sie springt zwar in Zeit, Ort und Perspektive, doch diese sind vor jedem Kapitel vermerkt. Dies sorgt für Klarheit und Verständlichkeit (was ich in letzter Zeit bei so manch anderen Büchern vergeblich gesucht habe und daher aktuell noch mehr schätze!).

Es macht regelrecht wütend und sprachlos, wie Chani sich selbst dafür verantwortlich macht und den Fehler direkt bei sich sucht, weil sie nicht schwanger wird. Und, dass sie glaubt, dass es die Folge einer von ihr unabsichtlich begangenen Sünde sein muss.
Auch die anderen scheinen direkt den Frauen die Schuld daran zu geben, die in so einem Fall jederzeit von ihren Männern verstoßen werden können.
Man mag sich gar nicht vorstellen, was dies mit den Frauen macht und welchem Druck sie dabei ausgesetzt werden ...

Eindrücklich fand ich neben so manchen Verhaltensregeln auch, wie vorgegeben Lebenswege sein können, dass es selbstverständlich zu sein scheint, Rabbi und Hausfrau zu werden, ohne darüber nachzudenken.
Außerdem zeigt das Buch gut auf, wie schwer es „Aussteigern“ und deren Familien aus jüdisch-orthodoxen Gemeinden gemacht werden kann.

Durch andere Bücher kenne ich mittlerweile einige der jiddischen/ hebräischen Begriffe und war darauf gefasst, dass das Glossar am Ende des Buches wieder etwas länger sein könnte. Durch die vielen Fremdwörter schnappt man so einiges auf und lernt nebenbei dazu.
Da empfehle ich persönlich die Printversion, da man hier schneller blättern kann.

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FAZIT: Für mich ist dies eine gelungene, eindrückliche Fortsetzung über Chani, Baruch und weitere Leute aus ihrer jüdisch-orthodoxen Gemeinde. Ich bin wieder in eine für mich eher unbekannte Welt mit vielen Glaubens-Regeln und -Ritualen abgetaucht und fand es spannend, die Geschichten der einzelnen Personen weiterzuverfolgen. 4,5/5 Sterne und eine klare Empfehlung von mir!
Über eine weitere Fortsetzung würde ich mich freuen!

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(C.N.: V. a. (unerfüllter) Kinderwunsch)