Leben in einer jüdisch-orthodoxen Gemeinschaft

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petris Avatar

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Sie haben sich nur drei Mal gesehen, sich nicht berührt und dann geheiratet. Wie es sich für eine sittsame Frau in einer jüdisch-orthodoxen Gemeinde gehört. Diese Geschichte wird im ersten Buch der Autorin „Die Hochzeit der Chani Kaufman“ erzählt.
10 Monate später treffen wir sie wieder. Baruch und Chani lieben sich, sie sind auch glücklich miteinander. Doch Chani kann dieses Glück nicht genießen. Sie ist noch immer nicht schwanger. Als Frau eines zukünftigen Rabbis muss sie unbedingt Kinder bekommen, der Druck der Gemeinschaft ist groß und es gibt nichts, was sich Chani mehr wünscht als endlich schwanger zu werden.
In ihrer Verzweiflung wenden sie sich an die Schwiegermutter, um einen Besuch in einer Kinderwunschklinik zu finanzieren. Ein schwerer Schritt.
Als Gegenpol dazu wird auch Rivkas Geschichte weitererzählt. Sie hat den Schritt aus der orthodoxen Gemeinde gewagt, sie ist ausgestiegen, weil es nicht mehr ging. Ein schwerer Schritt, denn ihre Kinder blieben bei ihrem Mann. Nur der älteste Sohn, der in Jerusalem lebt, spricht mit ihr. Die Tochter kann ihr nicht verzeihen und den jüngsten Sohn lässt man nicht mit ihr sprechen.
Beide Frauen, so unterschiedlich ihr Weg auch ist, stehen an einem schwierigen Punkt, der gerade ziemlich ausweglos scheint und an dem es gerade keine Hoffnung zu geben scheint.
Wie sich alles entwickelt, ob die Frauen ihre eigenen Kräfte und Ressourcen entdecken, ob es für Chani ein Kind und für Rivka mehr Freude an der „Freiheit“ und wieder Kontakt mit ihren Kindern gibt, das wird hier natürlich nicht verraten.
Der Roman ist sehr schön geschrieben, sehr menschlich, alle Protagonistinnen haben ihre Schwächen und Stärken. Besonders gefallen haben mir auch die vielen Nebenfiguren, zum Teil liebenswert, zum Teil machen gerade sie den Frauen das Leben schwer.
Großartig fand ich auch die Differenziertheit und Vielschichtigkeit, mit der erzählt wird. Natürlich ist die jüdisch-orthodoxe Welt eine intolerante, enge, frauenfeindliche Welt. Und dennoch mal die Autorin nicht Schwarz-Weiß. Man kann gut nachvollziehen, warum es so schwer ist, wenn man aussteigen will, aber auch, was schön daran ist, wenn man Teil davon ist. Sie erzählt kritisch, aber ohne zu (ver)urteilen.
Es ist eine fremde, unbekannte Welt. Doch Eve Harris schafft es, dass man in sie eintaucht und ein Teil davon wird.
Ein sehr schöner, spannender Roman. Ich war wieder begeistert, wie schon vom ersten Roman, „Die Hochzeit der Chani Kaufman“.