Und das alles im Namen des Herrn

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kainundabel Avatar

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„Ein unverheiratetes Mädchen war wie ein ruderloses Schiff …, doch eine unfruchtbare Frau war schlimmer.“ Das Zitat sagt alles darüber aus, was es bedeutet, in jüdisch-orthodoxen Kreisen (gewollt oder ungewollt) kinderlos zu bleiben. Nach „Die Hochzeit der Chani Kaufman“ legt Eve Harris nun die Fortsetzung ihres hervorragenden Bestsellers vor. Mit Faszination und Schrecken, Kopfschütteln und ungläubigem Staunen taucht man wiederum ein in eine Glaubenswelt, die das individuelle Leben bis in den letzten Winkel dominiert und reglementiert. Man leidet als Leser*in mit der jungen Chani, die völlig unwissend über die Vorgänge der Empfängnis in ihre Ehe mit Baruch geht, die unterwürfigst alle religiös aufoktroierte Vorgaben erfüllt, die eine Pille vor der Hochzeitsnacht nimmt, um tahara, sprich spirituell rein zu sein und eine weitere Pille, um ja keinen Eisprung zu haben, wenn sie nidda ist, also menstruiert. In dieser Zeit gilt sie als unrein und ist für den Mann verboten. Da werden selbst die Ehebetten auseinandergezogen. Chani macht bei aller anfänglichen Naivität eine beachtliche persönliche Entwicklung durch, die sie zur Erkenntnis bringt, dass es immer Männer sind, die ihren Körper kontrollieren und ihr sagen, was sie zu tun und was sie gefälligst zu lassen hat. Und auf dem Weg zu dieser Erkenntnis trifft sie mutige, unkonventionelle Entscheidungen.
„Die Hoffnung der Chani Kaufman“ lässt wie im Vorgängerroman das literarische Talent der Autorin erkennen, die spannend, unverblümt, augenzwinkernd, kritisch, unterhaltsam, immer aber empathisch und nie respektlos erzählt. Es ist ein fantastischer Roman, der tiefe Einblicke in eine gefühlt völlig fremde Welt gewährt, die offenbar keine Individualität zulässt und nur die vermeintlichen Gebote ihres Gottes akzeptiert. Eve Harris ist erneut ein großartiger Roman gelungen, den man am liebsten ohne Unterbrechung zu Ende lesen möchte. Das Buch ist eine Wucht, Erzählkunst pur!