Ein kluges Buch über Liebe und Verrat, Verlust und Trauer

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Mina, 28 Jahre jung, treibt nach dem Unfalltod ihres Brudes und unter ihrer empathielosen Mutter leidend, vor sich hin und kehrt schließlich nach Maine zurück, wo sie auf der Insel Eagle Island glückliche Sommerferien mit ihrer Familie verbrachte. Dort wird sie von Ann, 72 Jahre, einer harten und sarkastischen Hummerfischerin, die von ihrer großen Liebe Carolyn verlassen wurde, aufgenommen, arbeitet mit deren Freundin Julie, 54 Jahre, die nach einem unfallbedingten Koma wieder ins Leben zurückfindet und die Liebe sucht,zusammen auf einem Hummerfangboot, . Und MIna trifft Sam wieder, der bereits in ihrer Kindheit ihr ständiger Begleiter war und der ebenfalls mit dem Tod seines Bruders zu kämpfen hat ....

Beatrix Gerstberger ist Autorin und Journalistin mit dem Schwerpunkt Reportagen, Portraits, Reisen. Sie lebte nach dem Tod ihres Partners einige Zeit in Maine, fuhr mit Hummerfischern hinaus und sprach mit ihnen über das Leben, über Verluste, Trauer und das Weitermachen. Daraus entstand dieser zuriefst berührende Roman voller Wärme, Humor und Menschenkenntnis, der auch nach dem Lesen noch lange nachhallt - und in dem man spürt, dass Gerstberger weiß, von was sie schreibt.

Das besondere Setting, die wilde Landschaft von Maine mit seiner Küstenlinie, den felsigen Inseln und das daraus resultierende harte Leben seiner Bewohner, insbesondere der Fischer, schafft einen tollen Rahmen und weckt Lust, Neuengland zu besuchen.

Den Roman hat die Autorin quasi unter die Schirmherrschaft des Hummers gestellt - und über diese Krebse ist auch im Buch eine Menge zu lernen. Einst als "Kakerlake des Meeres" verhöhnt, bilden Hummer nun eine Delikatesse und die Lebensgrundlage der Hummerfischer, die ein entbehrungsreiches Leben am und mit dem Meer führen. Ann hält sogar einen blauen, besonders tief gefärbten Hummer namens "Mr. Darcy" als Haustier - einer, "der erst einmal einen Panzer trägt, und wenn er sich häutet, kommt doch kein so großer Idiot zum Vorschein".
Und so zeigt der weiße Schutzumschlag lediglich die Großaufnahme eines roten Hummers (wie nach dem Kochvorgang) und der Einband einen blauen Hummer (eine seltene Farbe durch einen Gendefekt ).

Beatrix Gerstberger schreibt flüssig mit einem genauen Blick auf das Geschehen. Eingerahmt in Prolog und Epilog, die beide 2018 zu Anns Beerdigung angesiedelt sind, erzählt die Autorin abwechselnd von Ann, Julie und Mina in den Jahren 1982 und 2000 und in vielen Puzzlestückchen setzt sich immer mehr ein bedeutendes Bild zusammen, das von Liebe und Verrat, Verlust und Trauer und vor allem dem Weitermachen erzählt. Gerstberger zeigt dabei auf, wie unterschiedlich verschiedene Menschen das Schicksal verarbeiten und maßt sich keine Beurteilung der Wege an. In diesem Zusammenhang bleibt auch der Tod von Sams Bruder im Dunklen und die verschiedenen Wege, mit den Tatsachen umzugehen, führen zum Spannungsfeld zwischen den Figuren.

Obwohl sich kein wirklicher Spannungsbogen erkennen lässt, konnte mich die Handlung von Anfang an in ihren Bann ziehen und ich entkam dem Sog der Geschichte nicht mehr. Alle Fäden wurden am Ende schließlich zu einem bedeutenden Ganzen zusammengefügt.

Vor allem bestechen "Die Hummerfrauen" durch die großartig angelegten Figuren; im Zentrum natürlich die starken Frauen Mina, Julie und Ann aus drei Generationen, die zu einer festen Gemeinschaft zusammenfinden und sich in der Männerwelt behaupten und sich weiterentwickeln. Ihre mehrdimensionale, absolut authentische Darstellung legt eine Verletzlichkeit frei, aus der ihre Stärke erwächst und die auf besondere Weise anrührt. Ihre Auseinandersetzung mit ihren Schicksalen und die Verarbeitung derer geben Hoffnung.

Mich haben "Die Hummerfrauen" sehr berührt und die Geschichte hallt noch lange nach - auch, wenn ich nicht mit allen Handlungen einverstanden war. Ein außergewöhnliches Buch, das ich unbedingt weiterempfehle - auch und gerade dann, wenn man sich nicht für Hummer und Fischfang interessiert - und ein kluges Buch über das Leben.