Online Hate Speech

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Influencer*innen sind aus unserem täglichen Leben nicht mehr wegzudenken. Inzwischen haben sie nicht nur die Reality Shows, sondern auch die Literatur erobert. In ihrem Psychothriller "Die Influencerin" rückt Rebecca Russ die sportaffine professionelle Selbstdarstellerin Sarah Rode in den Fokus, welche sich nach dem tragischen Selbstmord einer minderjährigen depressiven Followerin mit den dunklen Abgründen von Social Media auseinandersetzen muss.

Das Cover ist künstlerisch überzeugend gestaltet worden. Die erfolgreiche Lifestyle-Influencerin Sarah Rode steht vor einem Scherbenhaufen, wie die zerbrochenen Bruchstücke suggerieren, die in Blutrot und Schwarz schimmern. Der Titel ist auf das Wesentliche reduziert; der Untertitel erschreckt durch seine unverhohlene Drohung.

Der Psychothriller spielt in Wien (Österreich), in einem etwas außerhalb gelegenen Bezirk, wo die Protagonistin Sarah Rode mit ihrem Mann Raphael und ihrer pubertierenden Tochter Vicki plus ihrem lebhaften Labrador Mokka n einem schicken Einfamilienhaus lebt. Sie kann keine abgeschlossene Ausbildung vorweisen, ihr Studium hat sie abgebrochen, ebenso eine Ausbildung als Schauspielerin. Ihrem Interesse sich selbst zur Schau zu stellen, ist sie treu geblieben. Tagtäglich produziert sie neuen Content, den sie mit ihren Follower*innen teilt. Alles dreht sich um ihre (von Sponsoren bezahlten) Aktivitäten auf Social Media; ihr Mann Raphael vertritt sie als Manager in seiner Agentur, während ihre Schwester Caro sich als ihre persönliche Assistentin betätigt.

Das Geschehen wird abwechselnd aus der Ich-Perspektive von Sarah vermittelt, hin und wieder meldet sich die unbekannte Person zu Wort, die Sarah aus der Ferne (oder aus der Nähe?) beobachtet. Eingeleitet werden die einzelnen Kapitel mit hasserfüllten Kommentaren auf Social Media, die eindeutig auf Sarah gemünzt sind, welche ihren Instagram Account @sarahläuft nach der Tragödie deaktiviert hat. Sarah ist keine positiv besetzte Figur; sie wirkt sehr egoistisch, kreist pausenlos um sich selbst, handelt meistens aus dem Bauch heraus und reflektiert ihr eigenes Denken und Handeln nicht. Dennoch empfindet man tiefes Mitleid mit ihr, wenn man an den Shitstorm auf Social Media denkt, der über ihr zusammenbricht. Sarah ist zum Freiwild geworden, in Netz und im echten Leben. Man fühlt ihre Bestürzung über das Fake-Profil @sarahrennt, in dem private Fotos öffentlich preisgegeben werden, und ihr Entsetzen über das Stalking, das ihr die Luft zum Atmen nimmt.

Kann und muss eine erfolgreiche Influencerin mit über 700.000 Follower*innen sich ihrer persönlichen Verantwortung auf Social Media bewusst sein? Rebecca Russ behandelt ein wichtiges Thema, wenn sie Online Hate Speech und die Auswirkungen auf Betroffene thematisiert. Ihr Psychothriller punktet mit Action, Dramatik, Tempo und Spannung; er besticht durch verwirrende Twists bis zum finalen (nervenzerfetzenden) Show-Down, die Auflösung ist absolut nicht vorhersehbar. Auch wenn einige Stellen etwas überzogen wirken, hat mir meine Lektüre sehr gefallen. Deshalb gibt es eine ausdrückliche Leseempfehlung.