Sehr guter Thriller mit aktueller Thematik

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libby196 Avatar

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Das Buch hat mir im Großen und Ganzen sehr gut gefallen. Der Schreibstil ist gut, sehr flüssig lesbar und ich bin schnell in die Geschichte reingekommen. Auch die Thematik des Thrillers hat mich sofort interessiert, da das „Influencer“-Dasein und die damit verbundenen Vor- aber auch Nachteile ein sehr aktuelles Thema in unserer heutigen Gesellschaft ist.

Etwa genervt hat mich, dass die ersten 50 Seiten des Buches nur drumherum geredet wurde, warum Sarah ihr Instagram-Profil deaktiviert hat, obwohl der Grund dafür schon im Klappentext genannt wird. Und ich frage mich, ob es wirklich so viele Menschen gibt, die ihre Vorhänge/Rolladen nicht zuziehen, wenn es dunkel wird? Aber dieses Element braucht es ja für einen Stalking-Plot, also sei es Sarah verziehen.

So eine richtige Sympathieträgerin ist Sarah nicht … sie hat sich mit ihrem Fitnessaccount 700.000 Follower aufgebaut, und verdient durch Kooperationen, die ihr Mann – gleichzeitig ihr Manager – vereinbart, gutes Geld. Anscheinend wurde sie von ihm sehr in diese Richtung gedrängt und ihr gesamtes Leben war eigentlich eine reine Inszenierung und hatte nichts mehr mit der wahren Sarah zu tun. Trotzdem war es über Jahre ihr Lebensinhalt, alles wurde zu Content. Und sie hat es ja auch irgendwie freiwillig gemacht und davon profitiert.

Nachdem sich eine junge Followerin umgebracht hat, weil Sarah nicht auf deren hilfesuchenden Nachrichten und Kommentare reagiert hat, bricht ein Shitstorm über sie herein. Sie deaktiviert ihr Profil und kurz darauf mehren sich besorgniserregende Vorfälle. Sie bekommt Pakete mit Scherben oder ätzenden Stoffen zugeschickt und jemand erstellt ein Fake-Profil von ihr, auf dem er oder sie private und heimlich aufgenommene Fotos teilt. Sarah fühlt sich zu recht verfolgt, es nimmt sie aber niemand so richtig ernst. Ihr Mann (sowieso ein Unsympath) redet ihre Ängste die ganze Zeit klein, und auch die Polizei unternimmt nichts, denn es ist ja niemand ernsthaft verletzt worden. Nur ihre Adoptivschwester Caro unterstützt sie, so wirklich etwas bewirken kann sie aber auch nicht.

Sarah versucht verzweifelt, herauszufinden, wer hinter dem Profil steckt, die Pakete schickt und um das Haus schleicht. Es wird immer schlimmer, ihre Tochter bekommt wegen ihr Probleme in der Schule, der Familienhund wird entführt und ihrer dementen Mutter geht es immer schlechter.
Die kursiven Einschübe der Gedanken des/der Täter:in bringen eine zusätzliche spannende Komponente ein und es kam an keiner Stelle Langeweile auf, während man miträtselt, wer hinter alldem stecken könnte. Auf den letzten 50 Seiten ging es dann nochmal so richtig zur Sache – hier fand ich es teilweise fast zu viel, da die Geschehnisse sich buchstäblich überschlagen haben und man als Leser:in echt aufpassen muss, welche Verdächtigung jetzt die richtige ist, wer wann was gemacht, gepostet, geplant hat.

Die Enthüllungen über die Vergangenheit von Sarahs Adoptiveltern und ihre Schwester Caro waren krass, dies wurde meiner Meinung nach aber etwas zu schnell abgehandelt. Trotzdem war das Ende schlüssig (die Intention der Protagonist:innen muss man selbst ja nicht unbedingt nachvollziehen können).

Das Buch hat einige interessante Fragestellungen rund um Social Media aufgeworfen, vor allem die Frage, inwieweit Influencer:innen Verantwortung für ihre (teils sehr jungen) Follower:innen übernehmen können. Bei einem Account mit 700.000 Followern ist es wohl nicht menschenmöglich, alle Nachrichten überhaupt zu lesen, geschweige denn, zu beantworten – was im Einzelfall, wie hier im Buch, dramatisch enden kann. So lange sich mit Kooperationen aber so gutes Geld verdienen lässt, wird es wohl auch Influencer:innen geben, die ihre Seele verkaufen und denen die Schicksale ihrer Follower egal sind.


SPOILER
Gut fand ich, dass man (zumindest ich) durch die kursiven Einschübe des mutmaßlichen Täters die ganze Zeit einen männlichen Stalker vermutet hat, der das Fake-Profil erstellt, die Fotos gemacht und die Pakete geschickt hat. Ich habe mich schon ab und zu gefragt, wie die Person das alles alleine hinbekommt – dass es am Ende 3 verschiedene Täter:innen waren, durch deren unbewusstes Zusammenspiel für Sarah diese starke Bedrohungssituation entsteht, habe ich aber nicht erwartet! Somit wurde das ganze aber schlüssig aufgelöst! Sarahs Mann war mir von Anfang an unsympathisch, damit hätte ich trotzdem nicht gerechnet – zum Glück ist sie ihn los!
Esthers Vorgehen fand ich trotzdem komisch; sie hatte doch ganz andere – reale – Möglichkeiten, mit Sarah in Kontakt zu kommen …

Und dass Sarah ihr Profil am Ende komplett löscht, fand ich auch fragwürdig. Einerseits zeigt es, dass sie mit der ganzen Scheinwelt nichts mehr zu tun haben möchte, was ja gut ist. Andererseits war ihr die Hilfe ihrer Follower:innen ja ganz recht, als sie ihre Tochter gesucht hat. Ist es da nicht auf der anderen Seite wieder egoistisch, diese ganzen Menschen „im Stich“ zu lassen, ohne Abschiedsworte o. ä.? Hat sie sich überhaupt bedankt? Also hat sie die Leute ja wieder für ihren Vorteil genutzt … sie hätte ihren Account ja auch komplett umkrempeln und etwas Gutes daraus machen können.